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Gemeinschaftliches Wohnen unterm Kirchendach

Vor allem zu viel – so lautet das Schlagwort beim kirchlichen Gebäudebestand. Den schrumpfenden Gemeinden sind ihre Häuser inzwischen über den Kopf gewachsen – buchstäblich und finanziell. Vor allem zu wenig, heißt die gegenläufige Überschrift, wenn es um Wohn- und Entwicklungsraum vor allem in den Städten geht. Lässt sich beides nicht zusammendenken im Sinne einer immer wieder gerne strapazierten Win-Win-Situation? Möglichkeiten dazu beleuchtet jetzt eine Ausstellung und Veranstaltungsreihe im Haus am Dom.

Wohnungsbauprojekt neben der Nicolaikirche im Ostend. | Foto: Rolf Oeser.
Wohnungsbauprojekt neben der Nicolaikirche im Ostend. | Foto: Rolf Oeser.

Die Ausstellung „Heilige Räume – neue Konzepte“, zu sehen bis 17. Mai im Frankfurter Haus am Dom, setzt „Impulse für die Umnutzung kirchlicher Gebäude“. Ein Hauptaugenmerk richtet sie auf gemeinschaftliche Wohnprojekte, die, obwohl sie besonders gut zur Kirche zu passen scheinen, bisher noch gar nicht oft realisiert wurden. Eines entsteht gerade auf dem Gelände der Sankt Nicolai-Gemeinde im Frankfurter Ostend. In einer Kooperation des Evangelischen Regionalverbands mit der Wohnbaugenossenschaft Frankfurt wird anstelle des Gemeinde- und des Pfarrhauses, die abgerissen sind, ein kleineres Gemeinde- und ein Wohnhaus errichtet, in dem 15 Wohnungen Platz finden. Im nächsten Jahr soll es bezugsfertig sein.

In der Ausstellung reiht es sich ein zwischen das Wohnprojekt „Apfelbutze“ der Evangelischen Kirchengemeinde Simmershausen bei Kassel und einem Vorhaben, das auf dem Gelände des ehemaligen Klosters Ilbenstadt in der Wetterau im Werden ist und ebenfalls im nächsten Jahr 36 barrierefreie Wohnungen bieten soll. Beim Publikum, das zur Ausstellungseröffnung gekommen ist, stößt das alles auf großes Interesse. Viele drängen sich um die Schautafeln und fachsimpeln, sie sind drin in der Materie.

Auch bei der anschließenden Podiumsdiskussion im Giebelsaal bleibt kein Stuhl unbesetzt. Man wolle zeigen, dass man auch anders mit kirchlichen Immobilien umgehen könne, als sie abzureißen oder meistbietend zu verkaufen, sagt Thomas Wagner von der katholischen Akademie Rabanus Maurus zur Begrüßung und Birgit Kasper nimmt den Ball auf: Es sei eine „vertane Chance, wenn Kirche einfach verschwindet“. Die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens „passt sehr gut zu den Anliegen der Kirche“. Kasper vertritt das Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen, das Wohninitiativen bei der Realisierung ihres Vorhabens unterstützt. „Nachbarschaft entsteht, ehe man überhaupt einzieht“, so umreißt sie diese Grundidee. Gemeinschaften realisierten ungewöhnliche Konzepte abseits des Marktes. Denn „nicht jeder will im Einfamilienhaus leben“, und im Alter sei eine genossenschaftliche Wohnung „mit toller Nachbarschaft“ vielleicht einfach besser.

Doch solche Ideen mit dem zentralen Aspekt der Gemeinnützigkeit in einem überreizten Wohnungsmarkt umzusetzen, sei sehr schwierig. „Jahrelang kamen wir kaum man Liegenschaften heran“, berichtet Kasper.

In dieser Hinsicht „sind Kirchen ein super Partner“, sagt Frankfurts Dezernent für Planen und Wohnen, Marcus Gwechenberger. Angesichts des Bevölkerungswachstums – die Stadt rechnet damit, am Ende des Jahrzehnts die 800.000 Einwohner-Marke zu erreichen – reiche es nicht, einfach nur möglichst viel zu bauen. „Wir müssen mehrgleisig fahren und kreative Wege gehen“, so Gwechenberger. Es gehe darum, Stadtteile und Quartiere möglichst organisch weiterzuentwickeln. Hier seien die Kirchen wichtige Orte, deren soziale Bedeutung bei schwindender religiöser Bedeutung erhalten werden müsse. Verschiedene Nutzungen, durch die Kirchengemeinde und die Nachbarschaft, könnten künftig miteinander kombiniert werden.

Mit einer Kirchlichen Immobilien Strategie (KIS) unterstützt das Bistum Limburg Gemeinden bei der Neuausrichtung ihres Gebäudebestandes. Rund 1.500 kirchliche Gebäude gibt es im Bistum, bis jetzt nehmen 40 Pfarreien am Projekt KIS teil. Im Rahmen des landeskirchlichen Reformprozesses EKHN 2030 ist in der evangelischen Kirche ein ähnlicher Prozess im Gange. Ein Gebäudebedarfs- und Entwicklungsplan soll festlegen, welche Gebäude künftig noch benötigt und aus Steuermitteln unterhalten und welche abgegeben werden müssen.

„Viele Gemeinden stehen bereits unter einem enormen Druck“, sagt Hildegard Wustmans, Leiterin des Leistungsbereichs „Pastoral und Bildung“ im Bistum. Das Thema nur unter dem finanziellen Aspekt zu betrachten, greife aber viel zu kurz. „Kirchen sind sprechende Räume, emotional aufgeladen“, so Wustmans. Bei einer Entwidmung erlitten die Menschen immer auch einen Verlust ihrer persönlichen Erinnerungen die mit dem Kirchengebäude verknüpft sind. „Da melden sich nicht nur Kirchgänger bei uns“ - Kirchen hätten eine Bedeutung für das ganze Dorf oder den jeweiligen Stadtraum. Bei der Frage der Umnutzung erinnert Wustmans daran, dass Kirchen lange Zeit nie ausschließlich liturgisch, sondern auch für diakonische Zwecke, etwa als Hospize oder Vesperkirchen genutzt wurden. „Was geschieht in der Kirche montags bis samstags?“ - das sei in Zukunft eine entscheidende Frage.

Der 2020 gefasste Baulandbeschluss der Stadt Frankfurt legt fest, dass 15 Prozent der neu zu entwickelnden Wohnflächen an gemeinschaftliche und genossenschaftliche Vorhaben vergeben werden. Birgit Kasper vom Netzwerk Frankfurt würde gerne weitere Pilotprojekte in Kirchengemeinden anschieben. „Wichtig ist eine offene Diskussion in der Gemeinde“, betont sie. „Dabei muss der Bedarf, etwa nach Gemeinschaftsräumen oder Wohn-Pflege-Plätzen, definiert werden, um dann zu einer guten Gesamtlösung zu kommen.“ Kirchenmitglieder, Neubürger, Berater, Kommune, Denkmalschutz – im Einzelfall müssen viele Leute an einen Tisch. „Transformation ist ein komplexer Prozess“, sagt Marcus Gwechenberger. „Da helfen wir gerne.“ Oft gelinge die Weiterentwicklung einer Liegenschaft sogar ohne Änderung des Bebauungsplans. „Wir müssen daraus eine gemeinschaftliche Aufgabe machen“, sagt Hildegard Wustmans.


Die Ausstellung „Heilige Räume – neue Konzepte“ ist bis 17. Mai täglich von 9 bis 17 Uhr (Wochenende 11 bis 16 Uhr) im Haus am Dom (1. bis 4. Etage), Domplatz 3 zu sehen.

Begleitprogramm:

29. April, 19 Uhr: Sakralräume neu beleben und gestalten
7. Mai, 19 Uhr: Von Denkmalschutz bis Profanierung im Bistum Aachen
14. Mai, 19 Uhr: Impulse aus dem gemeinschaftlichen Wohnen. Mit Konzeptverfahren zur Kirchenumnutzung


Autor

Jörg Echtler 8 Artikel

Jörg Echtler studierte Kirchenmusik, Musiktheorie und Germanistik und arbeitet als freier Journalist in Frankfurt und Offenbach.

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