Weder der Markt noch die Familien werden die Krise der Care-Arbeit lösen
Damit auch in Zukunft Fachkräfte auf heutigem Niveau für Pflege, Kitas und Co. da sind, müsste die Hälfte aller jungen Menschen einen sozialen Beruf ergreifen, wie Diakoniepfarrer Markus Eisele errechnet hat – das ist vollkommen illusorisch. Einwanderung kann das Problem vielleicht abmildern, aber nicht die Lücke schließen.
Wir müssen viel radikaler umdenken. Früher galt die Sorge für Kinder, Kranke und Alte nicht als Arbeit, sondern als Liebesdienst, den Frauen quasi aus natürlicher Bestimmung gratis erledigen. Heute gibt es zwar Pflegeversicherung und Kita-Plätze, aber es knirscht an allen Ecken und Enden, weil dabei vollkommen falsch kalkuliert wurde.
Das schiere Ausmaß, in dem unbezahlte Care-Arbeit zum gesellschaftlichen Wohlstand beiträgt, haben viele Ökonomen immer noch nicht verstanden. Die Folge: Hilfsbedürftige Menschen bleiben unterversorgt, während gleichzeitig viele Familien, insbesondere Frauen, auf dem Zahnfleisch gehen.
Alle Menschen sind im Lauf ihres Lebens auf Hilfe, auf Care-Arbeit, angewiesen, mal mehr und mal weniger. Eine zivilisierte Gesellschaft schafft Strukturen, die hierfür Sorge tragen. Und genau daran hapert es: Weder der Markt noch weibliche Gratisarbeit werden das Problem in Zukunft für uns lösen. Was aber dann?
Wir bräuchten eine Kultur, in der gegenseitiges Kümmern normal ist. In der man ganz selbstverständlich Andere in ihrem Lebensalltag unterstützt, wenn sie Hilfe brauchen. Nicht nur die eigenen Familienmitglieder. Moralische Appelle reichen da nicht aus, es braucht Strukturen, die das ermöglichen. Kürzere Arbeitszeiten zum Beispiel.
Natürlich sollen wir auch Geld in die Hand nehmen für bessere Löhne in sozialen Berufen, für Anreize bei sozialem Engagement. Vor allem aber brauchen wir neue Prioritäten. In der Wirtschaft, in der Politik, in der Gesellschaft. Und auch in unseren eigenen Köpfen.
Lesen Sie zum Thema unser Interview mit Diakoniepfarrer Markus Eisele
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