Susanna Faust Kallenberg: Vom Gallus nach Srebrenica
Frau Faust Kallenberg, Sie haben als Beauftragte für den Interreligiösen Dialog im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach eine Reise nach Bosnien organisiert. Worum ging es dabei?
Es war eine Reise, die unterschiedliche Gruppen zusammengebracht hat: Menschen, die im christlich-muslimischen Dialog engagiert sind, Mitglieder des Ökumene-Ausschusses, Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich interreligiös fortbilden wollten. Bosnien als Reiseziel lag nahe, denn es gibt im Gallus zwei sehr aktive bosnische muslimische Gemeinden, die aktiv in die Vorbereitung mit einbezogen waren. Es sind schließlich muslimische, evangelische und katholische Menschen mitgefahren, insgesamt waren wir 15 Personen.
Was war ihr Programm, ihre Absicht?
Wir wollten schon ans Eingemachte. Wir wollten also auch selbstkritisch anschauen, welche Rolle die Religionsgemeinschaften bei der Verarbeitung des Bürgerkriegs und dem weiter bestehenden politischen Konflikt in Bosnien spielen. Wie gehen sie mit Geschichte um, wie mit der Aufarbeitung dieser Geschichte? Wie gehen sie mit Opfergeschichte, mit Narrativen, mit Gedenkorten, mit Erinnerungen um? Das waren nicht ganz einfache Themen.
Hat das funktioniert?
Ja. Ich hatte nicht die Erwartung, dass es so tiefgründig werden würde, wie es dann geworden ist. Ich habe auch nicht erwartet, dass wir wirklich mit allen Seiten sprechen können. Aber wir haben mit allen gesprochen. Wir waren sogar beim Marienwallfahrtsort Medjugorje, der von der katholischen Kirche offiziell noch nicht anerkannt ist. Dort haben wir die deutsche Messe besucht, davon waren alle tief berührt, auch unsere muslimischen Mitfahrer.
Haben Sie etwas über den Zusammenhang von Religiosität und Nationalismus gelernt?
Eher über den Zusammenhang von Religion und Ethnie. In Bosnien wird Ethnie immer im Zusammenhang mit Religion gedacht. Das bedeutet aber eigentlich, dass die Religion instrumentalisiert wird. Der Schwerpunkt unserer Reise lag ja klar auf dem religiösen Bosnien. Ein Teilnehmer unserer Reise hat allerdings auch das säkulare Sarajevo erkundet, er hat sich mit Schwulen dort getroffen, das alles gibt es natürlich auch noch. Aber dieses säkulare Sarajevo funktioniert nicht wirklich, weil die Politik nicht richtig funktioniert.
Manchmal wird ja gesagt, dass der bosnische Islam besonders liberal und modern ist, stimmt das?
Man kann vielleicht sagen, dass der bosnische Islam europäischer ist. Bosnien war ja zeitweise ein Teil des österreich-ungarischen Kaiserreiches. Damit hatte der bosnische Islam die Struktur einer eingetragenen Religionsgemeinschaft und war damit relativ früh tatsächlich ein europäischer Islam. Das prägt schon.
Was war das wichtigste Erlebnis auf ihrer Reise?
Das bei weitem dichteste Ereignis war, als wir nach Srebrenica gefahren sind, also an den Ort, wo 1995 über 8000 bosnische Männer und Jugendliche von der serbischen Armee umgebracht wurden. Dort haben wir uns intensiv mit Erinnerungskultur auseinandergesetzt.
War der Schriftsteller Peter Handke ein Thema, dem ja vorgeworfen wird, die serbischen Kriegsverbrechen zu beschönigen und der dieses Jahr den Literaturnobelpreis bekommen hat?
Ja, Handke war auch ein Thema, natürlich. Wir waren uns einig, dass er als Nobelpreisträger keine besonders gute Wahl ist. Als wir im Bus nach Srebrenica fuhren, fingen die bosnischen Mitreisenden an, zu erzählen. Unser Busfahrer erzählte, dass er damals in Srebrenica dabei war, sich aber durch die Wälder schlagen und entfliehen konnte. Einer der bosnischen Imame aus Frankfurt erzählte, dass er damals die rechte Hand des bosnischen demokratisch gewählten Präsidenten gewesen sei. Sie hätten damals am Telefon gesessen und seien nicht nach Srebrenica durchgekommen. Sie wussten also nicht, was dort los ist, und konnten nichts machen. Hilda, eine Bosniakin, die jetzt in Frankfurt lebt, erzählte, wie sie 20 Jahre lang nach dem Leichnam ihres Vaters gesucht hat, erst vor ein paar Jahren hat sie ihn gefunden. Er war damals nach Bosnien zurückgegangen, nachdem er sie und ihre Mutter nach Deutschland gebracht hatte. Mit solchen Geschichten sind wir also nach Srebrenica gefahren. Dort wird jetzt eine Gedächtnisstätte aufgebaut, sie befindet sich aber sozusagen in Feindesland, nämlich in der Republik Srpska, die mit allen Mitteln versucht, ein Teil von Serbien zu werden. Für Bosnien kann es eigentlich keine Lösung geben, solange Kroatien und Serbien von zwei Seiten an diesem kleinen Land zerren. Bisher schaffen sie es einfach nicht, ihre gemeinsame Geschichte miteinander zu bearbeiten.
Wie verlief dann letztlich Ihr Besuch in Srebrenica?
Wir waren alle sehr, sehr, sehr berührt davon. Die Bosnier kämpfen so sehr darum, dass diese Gedenkstätte überhaupt sein darf. Wir standen dort auf dem Friedhof und sprachen ein multireligiöses Friedensgebiet. Der bosnische Imam hatte etwas formuliert, ich selbst auch, die katholische Kollegin hatte ein Gebet aus dem Konzentrationslager in Ravensbrück herausgesucht. Das hatten wir mit Bibeltexten und Korantexten zusammengesetzt und dann mitten auf dem Friedhof in einer offenen Moschee gebetet. Es war eine ganz, ganz dichte Atmosphäre, und ich muss sagen, ich ziehe den Hut davor, dass die Muslime das zugelassen haben. Abends haben wir uns nach diesem Erlebnis alle ein bisschen hilflos gefühlt. Wir hätten gerne unseren bosnischen Mitreisenden etwas gesagt und gegeben. Wir wollten sie unterstützen, wir fragten, was kann denn die Lösung sein, wie wir Deutschen halt so sind, immer sehr effektiv. Wir überlegten, welche Politiker wir ansprechen könnten, damit da mal was passiert, denn man hat ja das Gefühl, dass Bosnien irgendwie vergessen worden ist von der Weltgeschichte. Aber dann sagte der eine bosnische Imam: „Ihr habt uns heute Nachmittag die Hoffnung auf Menschlichkeit wieder zurückgegeben.“ Das hat uns total berührt. Ein Pfarrerskollege von mir sagte später, dass wir genau das gemacht hätten, was auch im Neuen Testament steht: Weint mit den Traurigen. Das war es im Prinzip. Und dafür war es überhaupt nicht wichtig, ob wir Christen sind oder ob wir Muslime sind. Es war ein echtes, dichtes interreligiöses Erlebnis.
Haben Sie auch mit serbischen Christen gesprochen?
Ja, wir haben mit serbischen Christen, auch mit Priestern und Mönchen gesprochen. Viele von ihnen, vor allem die Älteren, sind leider sehr nationalistisch. Am schwierigsten zu verdauen waren für uns allerdings die kroatischen Katholiken. Vielleicht, weil wir es nicht erwartet haben. Wir haben mit einem Franziskaner gesprochen, der direkt gesagt hat, dass sie das, was in Bosnien geschehen ist, überhaupt nichts anginge, sie seien ja Herzegowina. Da denkt man sich schon, wie können sie von Maria als Friedenskönigin reden, wenn sie sich nicht mal für das interessieren, was 50 Kilometer weiter passiert.
Wie ist es denn hier in Frankfurt? Gibt es da Kontakt zwischen Serben, Kroaten, Bosniern?
Das ist auch sehr schwierig. Wir haben es schon einmal versucht und die serbisch-orthodoxe Gemeinde, die ihre neue Gemeindekirche auch im Gallus hat, gefragt, ob sie im interkulturellen Arbeitskreis mitarbeiten möchte. Sie haben aber auf unsere Kontaktversuche damals nicht reagiert. Jetzt überlegen wir, ob wir das nochmal anders angehen. Man muss auf jeden Fall den Kontakt suchen. Und auch die kroatisch-katholischen Christen müssen angesprochen werden . Nach dieser Reise wollen die Mitglieder des Interkulturellen Arbeitskreises es auf jeden Fall nochmal versuchen. Uns ist klargeworden, zu diesem Gespräch gibt es keine Alternative. Wir müssen die Serbisch-Orthodoxen hier in Frankfurt aus ihrer selbstgewählten Isolation herausholen. Irgendwo muss man anfangen und vielleicht ist das ein Anfang.
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