„Hartz IV hat besonders Frauen in die Armut getrieben“
Frau Poletti, der St. Katharinen- und Weißfrauenstift ist eine der ältesten Stiftungen der Stadt. Von Anfang an wurden bedürftige Frauen christlichen Glaubens gefördert. War Altersarmut in der Patrizierstadt Frankfurt auch schon vor 800 Jahren ein Problem?
Ursula Poletti: Das war sie, und das ist bis heute so geblieben. Derzeit unterstützen wir etwa 1400 Frankfurter Frauen im Rentenalter finanziell. Unsere Stiftsfrauen erhalten finanzielle Unterstützung durch eine monatliche Stiftsrente und Beihilfen in Notsituationen. Bei Bedarf werden sie durch unseren Sozialen Dienst beraten und besucht. Außerdem können sie an unseren Stammtischen, Festen, Reisen und Kaffeenachmittagen teilnehmen. Es sieht nicht so aus, als ob unsere Arbeit demnächst überflüssig werden würde.
Frankfurt gilt immer noch als reiche Stadt. Warum ist die Altersarmut speziell von Frauen hier ein so großes Problem?
Das hat viele Gründe, einer davon ist der Wohnungsmarkt. Die Mieten in Frankfurt und zunehmend auch in Offenbach sind so hoch, dass alte Menschen sie oft nicht bezahlen können. Es passiert oft, dass Wohnungen von Investoren gekauft und saniert werden – und die alten Mieter rausgekündigt werden, entweder, weil die Wohnung in Eigentum umgewandelt wurde, oder weil die Miete nach der Renovierung stark angehoben wird. Oftmals sind alleinstehende ältere Frauen betroffen. Wer nur 700 oder 800 Euro Rente bekommt, kann eine durchschnittliche Miete in Frankfurt längst nicht mehr bezahlen.
Warum ist das so?
Es war ein großer wirtschaftspolitischer Fehler, die Rentenniveaus abzusenken. Die Reform der Sozialgesetze und die Einführung von Hartz IV hat besonders Frauen in die Armut getrieben. Ohnehin haben Frauen durch jahrelange Teilzeitarbeit und das Kümmern um die Familie geringere Renten als Männer, und sie leben statistisch gesehen länger. Für viele reicht das Geld nicht zum Leben, die neu beschlossene Grundrente wird das Problem nicht lösen.
Was muss ihrer Meinung nach politisch getan werden?
Die Abkehr von der paritätischen Finanzierung unserer Renten war ein Fehler. Die Weltwirtschaftskrise und die später folgende Niedrigzinsphase haben gezeigt, dass unser umlagefinanziertes Rentensystem privater Kapitaldeckung überlegen ist. Wer die Rente teilprivatisiert und von den Kapitalmärkten abhängig macht, schließt viele Menschen aus. Gerade Frauen haben häufig gar nicht genug Geld übrig, um in eine Riester-Rente zu investieren. Natürlich ist es zu einfach gedacht, einfach zu sagen, dass langjährigen Mieterinnen nicht gekündigt werden darf – aber wir brauchen ganz dringend mehr bezahlbaren Wohnraum in Frankfurt.
Was passiert, wenn die jetzige Generation von Arbeitnehmerinnen in den Ruhestand kommt?
Das wird auch nochmal schwierig. Wer sich als junger Mensch von befristeter Anstellung zu befristeter Anstellung hangelt, kann kaum fürs Alter vorsorgen. Auch die vielen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden irgendwann in Rente gehen. In Frankfurt fällt die Armut oberflächlich weniger ins Auge als in anderen Städten. Ich bin mir aber sehr sicher, dass die Arbeit unserer Stiftung auch in 50 oder 100 Jahren gebraucht wird.
Zur Person
Ursula Poletti (53) ist Fachanwältin für Sozialrecht. Sie ist geschäftsführende Direktorin des Frankfurter St. Katharinen und Weißfrauenstifts. Außerdem sitzt sie im Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hessen.
Die Stiftung
Das St. Katharinen- und Weißfrauenstift ist eine selbstständige Stiftung des öffentlichen Rechts. Sie kann auf eine über 775–jährige Geschichte zurückblicken und zählt somit zu den ältesten öffentlich milden Stiftungen in der Stadt Frankfurt am Main. Stifterinnen und Stifter sind Frankfurter Bürgerinnen und Bürger. Die Stiftung verfolgt ausschließlich und unmittelbar mildtätige Zwecke im Sinne des Abschnitts „steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung. Der ausschließliche Zweck der Stiftung ist die unmittelbare Unterstützung und Versorgung alleinstehender bedürftiger Frauen. Der Stiftungszweck wird verwirklicht durch Gewährung von Jahresrenten und Schaffung von einer Unterkunft. Die zu betreuende Frau soll in der Regel christlichen Glaubens sein und seit mindestens einem Jahr ihren Wohnsitz in Frankfurt am Main haben. Über 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der Verwaltung für den Stiftungszweck tätig. Den Stiftungszweck finanziert das St. Katharinen- und Weißfrauenstift aus eigenen Erträgen der Erbbau- und Pachtzinsen sowie Mieteinnahmen aus Haus- und Grundbesitz.
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