Tatort Gemeindehaus: Schützt die Kinder!
Die evangelischen Sonntagsgottesdienste sind nicht so voll, wie man es sich wünschen würde, und das ist seit Jahrzehnten so. Das bedeutet aber nicht, dass die evangelische Kirche keine zentrale Rolle in den Biografien unzähliger ihrer Mitglieder hätte.
Das hat vor allem mit der oftmals sehr engagierten Jugendarbeit in den Gemeinden vor Ort zu tun, ob auf dem Land oder in den Städten. Zeltlager, Freizeiten, Ferienspiele, Chorprojekte, Gruppenstunden, der Konfirmationsunterricht, gemeinsame Fahrten zu Kirchentagen, tiefgehende Gespräche über Gott und die Welt mit Gleichaltrigen oder wenig älteren Ehrenamtlichen, prägende Begegnungen mit Pfarrerinnen und Pfarrern: All das gehört zum Stoff, aus dem viele wichtige und wunderbare Jugenderinnerungen von Menschen gewebt sind, die der evangelischen Kirche zumindest halbwegs nahestehen.
Diese prägenden Erfahrungen aus der Jugendarbeit sind häufig die Gründe, weswegen die Kinder und Jugendlichen von einst später als Erwachsene auch ihre eigenen Kinder taufen lassen und sie dann ein paar Jahre später voller Vertrauen die Jugend- und Freizeitangebote in ihren Kirchengemeinden nutzen lassen. Und zwar völlig unabhängig davon, ob sie selbst sonntags in den Gottesdienst kommen oder nicht.
Aber genau dieses Vertrauen in die kirchliche Jugendarbeit ist nun im Kern erschüttert. Am 25. Januar erschien die Forum-Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland, die das entsetzliche Ausmaß von sexualisierter Gewalt im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie im Zeitraum von 1946 bis 2020 öffentlich gemacht hat.
Demnach war die Mehrheit der Betroffenen zum Tatzeitpunkt unter 14 Jahre alt. Die Täter, fast alles Männer, haben sich den Kindern und Jugendlichen oft auf mehreren Ebenen gleichzeitig genähert: spirituell, sozial und emotional. Diese Mischung kann sehr einladend sein und jungen Menschen in schwierigen Lebensphasen wie der Pubertät Halt geben. Sie kann aber auch eine Anbahnungsstrategie für Gewalt sein.
Dass Pädagogik gerade dann, wenn sie besonders engagiert und ganzheitlich daherkommt, auch eine sehr dunkle Seite hat, ist nicht erst seit dem Skandal um die Odenwaldschule bekannt. Wo immer erwachsene Menschen Macht über Kinder ausüben, ob in Kirchen, Schulen, Sportvereinen oder Pfadfindergruppen, müssen wir als Gesellschaft viel genauer hinschauen als bisher.
Es ist gut, dass nun endlich Worte gefunden wurden für diese Verbrechen unter dem Deckmantel eines seelsorgerischen Kümmerns. Die Aufarbeitung wird noch schmerzhaft werden. Aber sie ist nötig, um Kirchen wieder zu sicheren Orten zu machen, die das Vertrauen von Jugendlichen und ihren Eltern verdienen.
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