Styx: Moralisches Dilemma auf hoher See
Rike ist Anfang vierzig und arbeitet als Notärztin in Köln - ein harter Job. Ihr Urlaubsplan verspricht auch nicht gerade Entspannung: Ganz allein will sie will von Gibraltar nach Ascension segeln, eine Insel im Südatlantik, auf der Charles Darwin ein legendäres Bepflanzungsprojekt initiiert hat. Tausende von Kilometern auf dem rauen Meer in einer Zwölf-Meter-Yacht?
Rike glaubt zu wissen, was sie sich zumuten kann: Sie ist fit, eine professionelle Seglerin, und sie hat sich umsichtig ausgerüstet. Selbst als sie vor der afrikanischen Küste in einen schweren Sturm gerät, sitzt bei ihr jeder Handgriff. Und, die Welt ist klein geworden: Ein vorbeifahrendes anderes Schiff warnt sie vor dem Unwetter und bietet an, jederzeit Hilfe zu leisten, wenn es Probleme geben sollte. Auf See, so erfährt man, halten alle zusammen.
Auch Rike vertraut auf das Gute in einer zivilisierten, wohl organisierten Welt. Daran zweifelt sie auch nicht, als sie einen havarierten Kutter sichtet, auf dem mehr als hundert geschwächte Flüchtende in Lebensgefahr sind. Rike wendet sich an die Küstenwache, die verspricht, zu helfen.
Als aber die Stunden vergehen und nichts geschieht, beginnt Rike zu zweifeln. Einige der verzweifelten Menschen springen ins Wasser, als sie Rikes Yacht erblicken. Die Küstenwache weist Rike an, sich zurückzuziehen, sie könne nicht helfen. Aber als Ärztin kann und will sie nicht wegsehen. Ohnehin hat einer der Flüchtenden, ein Junge, bereits ihr Schiff erreicht. Ja, ihn kann sie retten. Aber eben nicht alle. Und die, die alle retten könnten, tun nichts. Auch der freundliche Kapitän des anderen Schiffs, der Rike noch vor kurzem alle erdenkliche Hilfe und Unterstützung zugesichert hat, handelt nicht: die Firmenpolitik lasse das in diesem Fall nicht zu.
Abenteuerfilm, Thriller, Dokudrama? Wolfgang Fischers "Styx" hat von allem etwas. Vor allem aber ist er, wie auch der Filmtitel schon sagt, eine klassische Tragödie. "Styx" heißt in der griechischen Mythologie der unterirdische Fluss, der das Reich des Lebens von dem des Todes unterscheidet. Rike (sehr überzeugend gespielt von Susanne Wolff) steht für das engagierte, kompetente, aber auch selbstzufriedene Europa und das ethische Dilemma, in dem es steckt angesichts der Tatsache, dass die flüchtenden Menschen die globale Ungerechtigkeit und deren reale Auswirkungen konkret werden lassen. Gerade in Rikes Beziehung zu dem geretteten Jungen (in der ebenfalls starken Darstellung von Gedion Oduor Wekes), der ihr die Grenzen und auch die Verlogenheit ihrer Position drastisch vor Augen führt, wird das deutlich, diese Passagen sind die stärksten des Films.
"Angesichts der inhumanen Tendenzen unserer Migrationsdebatte und der beständig steigenden Zahl der Opfer im Mittelmeer gewinnt der auf der diesjährigen Berlinale vorgestellte Film eine furchtbare Dringlichkeit" schreibt die Evangelische Filmjury, die "Styx" zum Film des Monats September gewählt hat. "Seine Stärke liegt darin, wie er das Thema kammerspielartig in einer Extremsituation verdichtet und zugleich den Blick weitet: auf die grundlegende Ungleichheit im Verhältnis von Nord und Süd. In Ascension hätte Rike nicht nur Darwins blühendes Biotop gefunden, sondern auch englische und amerikanische Militärbasen."
"Styx" läuft am 13. September in Deutschland in den Kinos an. Die Evangelische Akademie Frankfurt veranstaltet dazu ein Filmgespräch am Montag, 17. September, im Mal Seh'n Kino, Adlerflychtstraße 6 mit Regisseur Wolfgang Fischer und Sandra Hammamy vom Verein Sea-Watch. Der Film beginnt um 19.30 Uhr, das Gespräch folgt direkt im Anschluss.
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