Rechte Esoterik: Die Ideologien hinter den Anti-Corona-Demos
Fast täglich wird gegen Coronamaßnahmen demonstriert, getarnt als Spaziergang. Aber man demonstriert auch gegen den Staat, ja gegen seine Verfasstheit und gegen die Demokratie. Die Mehrheitsgesellschaft fragt sich: Was wollen die, die gerne als „Querdenker“ bezeichnet werden. Welche Strömungen stecken dahinter? Dieser Frage geht der Weltanschauungsbeauftragte der Bayerischen Kirche, Matthias Pöhlmann, nach.
Pöhlmann hat als Beobachter selbst an Demonstrationen teilgenommen, die Literatur studiert, zahlreiche Gespräche geführt und so den weltanschaulichen Nebel der Pandemie gelüftet. Wohltuend ist, dass der Autor „die Esoterik“ nicht per se an den Pranger stellt. Nicht jede Esoterik ist „rechts“, wie er betont, und auch erklärt, was genau überhaupt unter Esoterik zu verstehen ist.
Es gibt allerdings tatsächlich eine selbst von der Fachöffentlichkeit kaum wahrgenommene Strömung innerhalb des „esoterischen“ Spektrum, die ausgrenzt. Die Ex-Grüne Frankfurter Kommunalpolitikerin Jutta Ditfurth hat schon vor drei Jahrzehnten auf die braune Substanz einiger dieser Bewegungen hingewiesen, und erntete dafür im eigenen Lager Hohn und Spott. Aber ihre Analyse, dass esoterisch getarnte anti-aufklärerische Ideen auf dem Vormarsch sind, bewahrheitet sich heute unverhohlen auf den Straßen, auch wenn einige Protagonisten neu hinzugekommen sind. Neu ist vor allem der verbreitete Glaube an Verschwörungserzählungen, den nach einer im Juni 2021 veröffentlichten Studie ein Fünftel der deutschen Bevölkerung teilt. Fast ein Viertel glaubt, dass geheime Organisationen einen großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.
In Bezug auf die Anthroposophie, in deren Milieu die Impfskepsis besonders verbreitet ist, kommt Pöhlmann zu einem differenzierten Ergebnis. Deren Begründer Rudolf Steiner (1861-1925) sei ein Kind seiner Zeit und in einem darwinistischen Denken verhaftet gewesen, als er von höheren und niederen, untergehenden und künftigen Rassen ausging. Und auch wenn sich heute an Waldorfschulen auffällige Allianzen mit Rechtsextremen und Reichsbürgern zeigen und Anthropsophen als Sprecher bei Querdenker-Demos auftreten, so weist Pöhlmann doch auch darauf hin, dass sich die „Gesellschaft anthroposophischer Ärzte“ deutlich vom Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien im Kontext der Corona-Pandemie distanziert hat.
Pöhlmann schlägt auf diese Weise Schneisen in ein scheinbar undurchdringliches Dickicht aus Impfgegnerinnen, Reichsbürgern, Esoterikerinnen, Anhängern der QAnon-Bewegung und vielen anderen. Dabei bleibt er stets sachlich, weist seine Quellen aus und ordnet sie auch historisch nachvollziehbar ein. Die Brisanz liegt in der Aktualität des Buches. Pöhlmann beendete sein Manuskript im Sommer 2021 und warnte schon damals: „Verschwörungsmythen stellen für die Demokratie, die auf Konsens, Verhandlungsbereitschaft und Aushandlungsprozesse angewiesen ist, eine große Gefahr dar. Der Verschwörungsglaube polarisiert und ist empfänglich für rechtsextremistisches und antidemokratisches Gedankengut.“ Es besteht die Gefahr ihrer Radikalisierung und einer zunehmenden Bereitschaft zu Gewalttaten. Es ist zu fürchten, dass wir derzeit erst den Anfang dieser Entwicklung erleben.
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