Obdachlosigkeit? Abschaffen!
Obdachose gibt es immer. Oder etwa nicht? „Housing First“ heißt ein neues Konzept für die Wohnungslosenhilfe, das die bisherigen Ansätze vom Kopf auf die Füße stellen soll. Derzeit müssen Betroffene oft viele Stufen erklimmen, um am Ende vielleicht eine eigene Wohnung zu bekommen: an Programmen teilnehmen, Suchterkrankungen bekämpfen, Therapien absolvieren. Währenddessen sind sie meist in einer Notunterkunft, einer betreuten Wohnform oder einem Hotel untergebracht, zusammen mit vielen anderen, ebenfalls problembelasteten Menschen – nicht die beste Voraussetzung, um persönliche Probleme zu lösen.
Wäre es nicht sinnvoller, die Sache andersherum anzugehen, ihnen also zuerst eine Wohnung zu geben, und danach soziale und psychologische Hilfen und Prozesse anzustoßen? Dieser „Housing First“-Ansatz stammt ursprünglich aus den USA, Finnland verfolgt ihn bereits. Eine eigens für diesen Zweck gegründete NGO kann mit Hilfe von Zuschüssen des Staates sowie Zuwendungen aus der staatlichen Lotterie Wohnraum anschaffen. Straßenobdachlosigkeit gibt es seither in Finnland nicht mehr.
Wäre das auch in Deutschland möglich? Nicht in Frankfurt, Offenbach und der näheren Umgebung, glaubt Michael Frase, Leiter des Diakonischen Werkes. Hier fehle es schlicht an bezahlbarem Wohnraum. Das bestätigt auch Heinz Gonther, der als Geschäftsführer des Evangelischen Vereins für Wohnraumhilfe im Auftrag der Stadt Wohnungen und Unterkünfte für Menschen beschafft, die ansonsten auf der Straße leben würden. „In Frankfurt fallen jedes Jahr etwa 1000 Sozialwohnungen aus der Bindung, das heißt, sie gehen auf den freien Markt. Und der soziale Wohnungsbau stagniert seit Jahrzehnten.“ Das heißt, erst einmal müssten Politik und Stadtplanung aktiv werden und Wohnraum schaffen. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen fordert dennoch, das „Housing First“-Konzept in die Leitlinien des Landes Hessen für die Arbeit mit Obdachlosen aufzunehmen. Wichtig sei vor allem, die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften mit ins Boot zu holen, sagt Liga-Vertreter Stefan Gillich: „Denn sie haben die Wohnungen.“
Möglicherweise ist „Housing First“ aber auch nicht für jeden Betroffenen der richtige Weg. „Die Arbeit in der Obdachlosenhilfe ist nicht schwarz und weiß“, sagt Diakonie-Leiter Frase. „Wir müssen es zum Beispiel auch aushalten, wenn ein Mensch die Entscheidung trifft, das Angebot einer Übernachtungsstätte nicht anzunehmen. Er hat das Recht dazu.“
Auch wenn Europa jetzt also mit dieser Resolution vorgelegt hat: Bis zum Ende der Obdachlosigkeit in Deutschland ist es noch ein sehr weiter Weg.
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