„Nicht wer Gott ist, ist relevant, sondern wo Gott ist“
In den hohen Bücherregalen in Klaus Webers Altbau-Wohnzimmer stehen viele dicke Bücher großer Theologen. Aber die Frage, ob er an Gott glaube, weist Weber zurück: Das sei eine Frage aus dem Bereich der Metaphysik und in einer nachtheistischen Zeit vollkommen irrelevant, erklärt der 74-Jährige bestimmt. Heute bezeichnet er sich als Atheist. Dabei hat er als junger Mann evangelische Theologie studiert. Zuerst an der kirchlichen Hochschule in Bethel, später in Heidelberg und Mainz. Als die 68er-Revolution begann, war er 20 Jahre alt. Er las Feuerbach und Marx, schloss sich einer marxistisch-leninistischen Studierendengruppe an und wurde immer religionskritischer.
Als Pfarrer auf der Kanzel zu stehen, wurde schließlich unvorstellbar. Stattdessen wollte er „die Welt verändern“, zunächst als Arbeiter bei Opel. Dann studierte er noch zwei Jahre Grundschuldidaktik in Frankfurt und wollte „Kinder aller Bevölkerungsschichten“ erreichen. Schließlich unterrichtete er von 1976 bis 2010 an einer Grundschule in Kelsterbach mit 40 Prozent Migrationsanteil. Zwischendurch arbeitete er eine Zeitlang auch als pädagogischer Mitarbeiter an der Universität Gießen und war zwei Semester in Basisgemeinden in Brasilien. Er lernte die Befreiungstheologie kennen, die sich in Lateinamerika als Stimme der Armen verstand und Unterdrückung den Kampf ansagte.
Seitdem ist für Weber nicht mehr relevant, wer Gott ist, wie am Anfang seines Studiums, sondern wo Gott ist. „Die Tradition des gekreuzigten Gottes, Christus, weist auf diejenigen, die im Elend sind“, sagt er. „Ihnen müssen wir zuhören und fragen, wie sie Gott erfahren, und sie erzählen lassen. Nur so können wir überhaupt noch von Gott und der Auferstehung sprechen, wie es ja die Geschichten des Alten und Neuen Testaments tun. Sie sind ein großer Reichtum.“
Diese Erkenntnis führte bei Weber zu einem tiefgehenden Interesse an Menschen und ihren existenziellen Erfahrungen. Seit einigen Jahren kümmert er sich als ehrenamtlicher Vorstand um einen jungen Geflüchteten aus Afghanistan. Er rufe fast täglich an, komme oft zum Essen oder berate sich über seine Ausbildung mit ihm, erzählt Weber, und strahlt.
Ein Anliegen war es ihm auch, mit dem Frankfurter Cäcilienchor, in dem er seit 2004 singt, nach den jüdischstämmigen Chormitgliedern zu forschen, die vor 1933 rund ein Viertel des Chors stellten. Lebhaft berichtet Weber, wie er und ein zwölfköpfiges Rechercheteam des Chors sich auf die Suche machten. Trotz schwieriger Quellenlage ist es ihnen gelungen, 23 ehemalige Chormitglieder mit jüdischen Wurzeln zu entdecken, ihre Geschichten zu dokumentieren und Nachfahren zu Gedenktagen samt Stolpersteinverlegung und Konzert einzuladen. „Wiedergutmachen können wir das, was diesen Menschen angetan wurde, natürlich nicht“, sagt Weber. „Nur empathisch sein, in dem wir von ihnen erzählen, ihre Geschichten in unsere Erinnerung zurückholen.“
Nach kleinteiliger Forschungsarbeit wandert Weber gerne im Odenwald oder reist mit seinem Mann nach Italien. Tiefe Erkenntnis könne man nicht nur im Glauben, sondern auch in Musik oder Gedichten finden, sagt er. „Am meisten vermisse ich Gott, wenn ich dankbar bin.“
2 Kommentare
Interessant, wenn der Gottesglaube keine Rolle mehr in der evangelischen Kirche spielt, kann ich doch direkt mein Geld der MLPD oder der Linken spenden und muss keine Kirchensteuer mehr zahlen ?! Mir erschließt sich der Sinn der evangelischen Kirche mittlerweile nicht mehr, diese verkommt zu einer reinen linken politischen Partei
Liebe Frau Meier - wir interviewen für unsere Seiten die unterschiedlichsten Menschen mit verschiedenen Perspektiven. Das, was diese Personen von sich und ihren Ideen erzählen, ist nicht die Meinung "der evangelischen Kirche". Tatsächlich sind wir davon überzeugt, dass das Gespräch auch mit Menschen anderer Weltanschauungen wichtig ist und die eigenen Überzeugungen sogar schärfen kann. Herr Weber ist auf jeden Fall ein sehr engagierter Mensch und ein interessanter Gesprächspartner.