Auf dem Weg zu "Caring Communities": Die Zukunft der sozialen Fürsorge
Hören Sie das Gespräch mit Markus Eisele als Podcast
Herr Eisele, Sie sagten kürzlich, dass der Sozialstaat, so wie wir ihn bisher kennen, langfristig nicht bestehen wird. Was meinen Sie damit?
Es ist ja absehbar durch die demografische Entwicklung, dass immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Das betrifft alle Sektoren unserer Gesellschaft und vor allen Dingen der Wirtschaft, aber auch die Wohlfahrt und auch die Diakonie. Im Grunde müssten 50 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger in den Sozialbereich gehen, damit wir ungefähr den Stand von heute behalten könnten. Das ist natürlich völlig unvorstellbar. Entsprechend müssen wir also davon ausgehen, dass nach Hochrechnungen bis zum Jahr 2035 zwischen 10 und 15 Prozent Arbeitskräfte in allen Bereichen der Gesellschaft fehlen werden. Der Sozialstaat wird sich also definitiv ändern müssen. Und das hat noch nicht mal etwas mit Finanzierung zu tun. Wir wissen auch jetzt schon, dass wir finanziell unter Druck geraten werden. Wir haben das voriges Jahr erlebt, als die Bundesregierung im Bereich der Etats für Soziales sehr stark sparen wollte, das haben wir zum Glück abwenden können. Vorläufig sind wir deshalb zuversichtlich, dass wir, was die Finanzierung betrifft, ungefähr auf dem jetzigen Stand bleiben können. Im Grunde bedeutet das aber eigentlich eine Kürzung, denn angesichts der Inflation büßen wir Jahr um Jahr Mittel ein. Die werden zu oft auch nicht aufgestockt.
Wie muss ich mir das konkret vorstellen? Wird es also in Zukunft nicht genug Plätze in Pflegeheimen geben, nicht genug Krankenschwestern, nicht genug Erzieherinnen?
Ja. Schon jetzt brennt es ja an allen Ecken und Enden. Wenn Sie sich in der Pflege umschauen, gibt es zu wenige Fachkräfte, ob das die Krankenhäuser betrifft, die ambulante oder die stationäre Pflege. In den Altenhilfeeinrichtungen sind die Mitarbeitenden schon jetzt am Limit. Wir sehen es aber auch im Bereich der frühkindlichen Bildung, also in den Kitas. Da finden wir auch zu wenig Personal. Es gibt theoretisch viele Plätze in den Kitas, sie können aber einfach nicht belegt werden. Das sind in Frankfurt und Offenbach Hunderte Kindergartenplätze. Das ist natürlich hochproblematisch, weil Eltern sich darauf verlassen können müssen.
Zumal es ja auch einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz gibt.
Ja, theoretisch. Aber faktisch kann die Zuverlässigkeit einfach nicht gewährt werden. Es müssen ja nur ein, zwei Mitarbeitende ausfallen, und schon können Sie die Einrichtung nicht bis 17 Uhr geöffnet halten. Deshalb die vielen kurzfristigen vorzeitigen Schließungen, dann müssen Eltern früher von der Arbeit weg oder jemanden finden, der einspringt. Das wollen wir also Träger natürlich auch nicht, aber Sie können eine Kita nicht mit zu wenigen Fachkräften betreiben. Die Sorgfaltspflicht erfordert es, dass ausreichend Fachpersonal vor Ort ist, und wenn das nicht der Fall ist, muss die Einrichtung früher schließen.
Momentan ist es ja so, dass, wenn Menschen hilfsbedürftig sind und Care, also Fürsorge brauchen, entweder die Familie zuständig ist oder, falls das nicht möglich ist, springen professionelle Kräfte ein, also letztlich der Sozialstaat. Wenn nun aber in absehbarer Zukunft beides nicht mehr ausreichend vorhanden ist, braucht es etwas Drittes, und das wäre dann das Konzept von „Caring Communities“, von dem man immer öfter hört, also „sorgende Gemeinschaften“. Dahinter steht die Idee, dass wir alle füreinander einstehen sollten, auch unbezahlt oder wenn wir nicht miteinander verwandt sind. Kann so ein Konzept die Versorgungslücke füllen, die sich da auftut?
Tatsächlich ist es ja jetzt schon so, dass wir in sehr vielen Caring Communities arbeiten. 80 Prozent der Pflege im Alter wird ja durch Familienangehörige geleistet. Da gibt es sozusagen eine ethisch moralische Verpflichtung unserer Gesellschaft, die auch noch wahrgenommen wird. Ohne die würde es ja gar nicht laufen. Wir können nicht alleine auf Professionalität setzen. Wenn nun die Zahlen derer, die im sozialen Sektor arbeiten, zurückgehen, wird in irgendeiner Art und Weise die Gesellschaft, also die einzelne, die Familien oder familienähnliche Zusammenschlüsse, an deren Stelle treten müssen. Anders wird es nicht gehen. Mein Modell ist aber kein Defizitmodell, sondern mir geht es im Grunde um die Stärkung des gesellschaftlichen Miteinanders. Es ist schon immer so gewesen, dass in Nachbarschaften füreinander gesorgt wurde, und das erleben wir auch heute noch an vielen Stellen. Was wir in der Diakonie mit Quartiersmanagement machen, ist ja im Grunde auch so etwas. Auch Kirchengemeinden sind so etwas Ähnliches. Nur, dass das in einer sehr stark individualisierten Gesellschaft zerfällt. Und da müssen wir wieder hin zurück.
Ich kann mir das aber nicht so recht vorstellen. Es gibt doch einen Unterschied zwischen der Familie und der Nachbarschaft. Die Familie steht in einer moralischen Pflicht, Angehörige zu versorgen, das ist eine starke gesellschaftliche Erwartung…
Es gibt sogar eine rechtliche Verpflichtung in manchen Fällen.
Ja, genau. Es ist nicht unbedingt eine freiwillige Entscheidung. Gleichzeitig sind die Familien auch immer mehr am Limit. Dazu kommt, dass sich Familienformen und Geschlechtervorstellungen verändert haben. Fast alle Frauen sind heute erwerbstätig, das heißt, die große Ressource von früh verrenteten Menschen, die Zeit und Energie für unbezahltes Engagement haben, oder auch für die Betreuung ihrer Enkelkinder oder die Pflege ihrer Eltern, das alles sind ja ebenfalls schwindende Ressourcen.
Ja und nein. Tatsächlich ist es so, dass die familiäre Ressource geschrumpft ist. Deswegen ist die Professionalisierung ja auch vorangetrieben worden. Aber das wird so nicht weitergehen. Sie haben völlig Recht, dass das Gender-Thema, das Gerechtigkeitsthema, angesprochen werden muss. Es kann nicht sein, dass die Care-Arbeit wieder einzig oder vor allem zu Lasten der Frauen und ihrer Berufstätigkeit geht. Aber ich bin doch sehr zuversichtlich, dass es eine Bereitschaft gibt, füreinander einzustehen. Ich erlebe das und höre es auch aus vielen Gesprächen. Dass zum Beispiel Nachbarinnen und Nachbarn füreinander sorgen, auch in den eher anonymen Stadtteilen von Frankfurt. Die Menschen nehmen schon wahr, wer Hilfe braucht. Und wenn das dann weiter gefördert wird, wenn wir dafür Unterstützungsstrukturen schaffen – und ohne die wird es natürlich nicht gehen – dann bin ich ganz zuversichtlich, dass wir zu einem neuen Modell des Zusammenlebens kommen. Aber Zusammenleben bedeutet: Man muss sich auch begegnen. Und da beginnt es schon. Wir brauchen im Grunde eine Verschränkung der Wege von Menschen, vor allem zwischen den Generationen. Wer sich nicht begegnet, hilft sich auch nicht. Hilfe oder Sorgearbeit füreinander kann natürlich nicht verordnet werden.
Vielleicht ist das auch ein architektonisches Problem. So, wie viele Wohnhäuser heute angelegt sind, gibt es gar keine Gelegenheit, sich zu begegnen, weil es zum Beispiel keine Bank gibt, auf die man sich mal vor der Wohnungstür setzen kann.
Das stimmt. Es ist tatsächlich auch eine städtebauliche Frage. Es gibt Quartiere in Frankfurt, die sind einfach komplett daran vorbei geplant. Das Europaviertel, zum Beispiel. Dort gibt es einfach keine Begegnungsmöglichkeiten. Quartiere, die jetzt in der Planung sind, müssen ganz anders geplant werden.
Was könnte man dann anders machen?
Ich denke, wir brauchen Quartierszentren. Orte der Begegnung, wo Menschen hinkommen, die sich engagieren wollen, die Unterstützungsbedarf haben, oder Menschen, die beides haben. Wir dürfen hier nicht stigmatisierend denken, dass die einen Hilfe nur nehmen und die anderen Hilfe geben. Sondern es ist ja so, dass Menschen immer geben und nehmen. Beratungsstellen zum Beispiel könnten in diesen Zentren angesiedelt werden, sodass man auch weiß, wo sie sind. Es könnte dort Begegnungsräume geben und Angebote. Wir haben an vielen Stellen in unserem Quartiersmanagement schon gezeigt, wie das funktionieren kann. Oft kommen dort Menschen vorbei, die keinen Anschluss an ein Hilfesystem haben, sie suchen Hilfe und werden dann selbst ehrenamtlich Engagierte. So kann es funktionieren.
Die Idee ist also, dass es ein professionell, zum Beispiel von der Diakonie betriebenes Quartiersmanagement gibt, wo Fachleute aber nicht selber die Care-Arbeit tun, sondern ermöglichen, dass andere füreinander sorgen, sich vernetzen und so weiter. Das ist ein sehr ansprechendes Modell, aber es setzt doch letztlich kommunikative Menschen voraus. Also Menschen, die leicht Kontakt zu Nachbarn finden, die sich auch vielleicht sowieso schon engagieren. Was ist aber mit Menschen, die Schwierigkeiten haben, soziale Kontakte einzugehen, die sich vielleicht nicht trauen, fremde Personen anzusprechen oder irgendwo hinzugehen, wo sie niemanden kennen?
Das ist tatsächlich ein Thema, für Frankfurt und für unsere Gesellschaft insgesamt, nämlich die Einsamkeit vieler Menschen. Laut einer neuen Statistik ist der Anteil der Haushalte von Alleinlebenden nochmal hochgegangen, wir sind zurzeit bei 53 Prozent in Frankfurt. Und da ist schon ein Potenzial, dann auch tatsächlich zu vereinsamen. Es reicht ja nicht, zur Arbeit zu gehen, wenn man dann am Abend niemanden mehr ansprechen kann. Auf solche Menschen müssen wir tatsächlich noch proaktiver zugehen. Auch auf Menschen im Alter, wo das nochmal prekärer ist. Aber auch da gibt es ja Programme, an die man anknüpfen kann, zum Beispiel die aufsuchende Sozialarbeit. Da lässt sich durchaus etwas in Ehrenamtlichkeit machen, es ist ja die Idee hinter den Besuchsdiensten von Kirchengemeinden.
Die werden allerdings gerade vielerorts eingestellt, weil es nicht mehr genug Ehrenamtliche dafür gibt, und die, die es bisher gemacht haben, selbst älter werden.
Ich bin da optimistischer als Sie, weil ich wirklich glaube, dass es ein Grundbedürfnis von Menschen ist, sich zu engagieren, etwas Gutes in diese Welt hinein zu tragen. Das ist übrigens ganz unabhängig von Religion, aber gerade als Kirche haben wir hier viel beizutragen. Wir haben Erfahrung und ein tolles Netzwerk an Ehrenamtlichkeit, immer noch. Wir haben Erfahrungen von verschränkten Zuständigkeiten aus Professionalität und Ehrenamt. Und wir stehen natürlich auch für Werte. Wenn man die Bibel liest, ist dieses „Sorgt füreinander, dient einander“ ganz großgeschrieben. Wir müssen das nur in eine Sprache übersetzen, die allgemein gesellschaftlich verstanden wird. Denn ich glaube, dass es etwa auch in den migrantischen Communities genau das gibt, die nutzen viel, viel weniger unsere professionalisierten Hilfen. Leider, muss man manchmal sagen, denn oft täte es ihnen gut, einen Anschluss ans Hilfesystem zu finden. Aber in anderer Hinsicht leben sie vor, dass es geht. Ich glaube, daran müssen wir anknüpfen. Aber dafür braucht es auch finanzielle Ressourcen zur Unterstützung. Selbst Ehrenamtlichkeit gibt es nicht umsonst.
Im Prinzip ist ja die traditionelle Kirchengemeinde schon so eine „sorgende Gemeinschaft“ gewesen, die nicht auf Blutsverwandtschaft und Familie beschränkt war. Ist das Modell der „Caring Communities“ womöglich eine säkularisierte Form der christlichen Gemeinde? Und könnte man das weiterentwickeln, etwa nach dem Motto: Wir behalten die Kirchengemeinden, aber sie verstehen sich nicht mehr als rein christlich, sondern sind offen für alle?
Diese Anschlussfähigkeit fände ich prima. Ich glaube, das ist etwas, das wir beitragen können als christliche Gemeinden, als Diakonie und Caritas. Wir können etwas von diesem Spirit sozusagen hineingeben in die gesellschaftliche Entwicklung. Dazu kommt noch, dass wir jetzt gerade an einem Punkt sind, wo wir in Frankfurt und Offenbach viele Versammlungsflächen, etwa Gemeindehäuser, aufgeben müssen. Und diese sozialen Orte dürfen nicht verloren gehen.
Sie meinen, man sollte die überführen in Stadtteilzentren?
Das hielte ich tatsächlich für geboten. Die Stadt, die Gesellschaft müssten verstehen, dass der Verlust von gemeindlichen Flächen nicht nur eine Frage ist, die die Kirche betrifft. Schon jetzt passiert an diesen Orten ja viel mehr, dort treffen sich Yoga-Gruppen und Kindergruppen und Jugendgruppen und Selbsthilfegruppen, die überhaupt nicht kirchlich sind. Wenn diese Räume dauerhaft verloren gehen, geht dem Stadtteil, dem Quartier dauerhaft etwas verloren, das nicht ersetzt werden kann. Denn wir haben einfach viel zu wenige öffentlich zugängliche, nicht kommerzialisierte Flächen in unseren Quartieren.
Sind Sie da schon in Gesprächen mit der Politik? Das wäre ja ein Thema, das man relativ kurzfristig angehen müsste. Wenn die Gebäude erst mal vermarktet sind, sind sie ja weg.
Ja. Es gibt auch sehr deutliche Signale, dass man das als Problem erkannt hat, ich sehe im Moment aber noch nicht, dass sehr viel Geschwindigkeit drauf ist, das von politischer oder auch kommunaler Seite anzugehen. Aber das Interesse, darüber zu sprechen, ist groß. Wir müssen das von unserer Seite aus weiter forcieren, um hier Strukturen für die kommende Zeit zu retten. Strukturen, die multikonfessionell, multiethnisch, multikulturell sein werden. Dafür müssen wir jetzt eine Grundlage legen.
Wie stehen Sie denn generell zu der Frage des Geldes im Bereich der sozialen Arbeit. Viele Menschen würden sich gerne ehrenamtlich engagieren, vielleicht sind sie schon in Rente, haben aber sehr wenig Geld und hätten Interesse daran, vielleicht auch ein bisschen etwas für ihr Engagement zu bekommen. Ich denke an die ökumenischen Hilfenetzwerke, die es ja schon gibt, wo man einen kleinen Stundenlohn bekommt, wenn man zum Beispiel alte Menschen betreut. Bisher gilt aber doch eher das Prinzip, dass zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit strikt getrennt werden soll.: Entweder man hat einen Beruf und macht das professionell, als Krankenschwester oder so, oder man macht es privat für Liebe, weil man die Tochter ist zum Beispiel oder sich sozial engagieren möchte, aber eben ohne dass man etwas dafür erwartet. Ist das nicht inzwischen eine künstliche Trennung? Wäre es nicht sinnvoller, hier Mischformen zu finden, damit Leute sagen können: Ich mache das aus Engagement für meinen Stadtteil, für meine Nachbarschaft, aber ein bisschen will ich auch davon haben?
Das man differenziert anschauen. Ich finde, es geht auch etwas verloren, wenn man Dinge nur noch tut, wenn man vergütet wird. Unser Modell geht schon davon aus, dass es ein freies Tun gibt, dass man anderen hilft, einfach weil man es gerne macht. Weil man weiß: Ich verdanke mich selbst und mein Leben und auch mein Glück und vieles, was mir im Leben geschehen ist, nicht mir selbst, sondern dem, dass es andere für mich getan haben, und deswegen will ich es auch genauso frei und unvergütet weitergeben. Ich finde, das ist ein sehr gutes Modell. Ansonsten haben wir jetzt schon ganz viele Zwischenformen. Leute werden zum Beispiel in geringfügiger Beschäftigung entlohnt, wir haben Übungsleiterpauschalen und so weiter. Aber ich finde, wir brauchen auch Orte, die nicht ökonomisiert sind, damit es nicht immer nur um den Verdienst geht. Es gibt so viele andere Formen auch von Anerkennung. Und eine dieser Formen von Anerkennung ist das gute Gefühl zu haben, wirklich etwas Wichtiges für andere Menschen getan zu haben. Das gibt mir auch selber was.
Es muss sich ja vielleicht auch gar nicht gegenseitig ausschließen. Wenn ich Sie hier interviewe, dann tue ich das ja auch gerne, aber ich möchte doch trotzdem Geld für meine Arbeit als Journalistin bekommen. Vielleicht ist diese Trennung auch falsch, dass, sobald man für eine Arbeit etwas bekommt, man sie nicht mehr aus Engagement tut, oder das Engagement nur etwas wert ist, wenn es völlig selbstaufopfernd geschieht. Also dass man einfach mehr Mischformen zulässt.
Genau. Das sehe ich auch so.
Zumal die alte gewerkschaftliche Angst, dass durch gering vergütetes Ehrenamt Arbeitsplätze verloren gehen könnten, wegfällt. Also die Angst, man würde damit die so genannten „guten Arbeitsplätze“ vernichten.
Ja, das Problem haben wir im Moment ohnehin wirklich nicht. Wir versuchen mit allen Kräften, Menschen dafür zu gewinnen, sich im sozialen Sektor beruflich zu engagieren. Wir versuchen zum Beispiel Leute wieder in die Berufstätigkeit zurückzuholen, wenn sie zum Beispiel durch Familienphase oder Kinderpause die Verbindung zum Beruf verloren haben: Sie sollen unbedingt zurückkommen. Aber wir brauchen eben trotzdem eine Gesellschaft, die noch stärker als heute auf zivilgesellschaftlichem Engagement fundiert. Anders wird es nicht gehen. Wir werden das, was uns an Professionalität durch den demografischen Wandel verloren geht, nicht finanziell ausgleichen können. Aber dabei müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es Ehrenamtlichkeit ohne Hauptamtlichkeit im Grunde nicht gibt. Wir brauchen immer Leute, die professionell ordnen, strukturieren, koordinieren.
Wie sollte die Politik das unterstützen? Geld ist natürlich das eine, sie müsste diese Zentren finanzieren, die Räume in den Stadtteilen zur Verfügung stellen, das ist relativ offensichtlich. Aber dann sind da ja auch noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Derzeit gibt es da Unterstützung fast ausschließlich für pflegende Familienmitglieder, zum Beispiel im Erbrecht oder beim Pflegegeld oder mit Rentenpunkten. Aber das alles kann immer nur von Kindern oder Ehegatten in Anspruch genommen werden. Wäre es nicht sinnvoll, den Kreis hier auszuweiten, sodass alle unterstützt werden, die sich für andere kümmern, egal ob sie verwandt sind oder nicht?
Das größte Problem derzeit ist, dass Alter gerade für pflegende Angehörige ein großes Armutsrisiko ist. Die meisten machen sich darüber keine Gedanken, da muss vieles besser werden. Und aus ethischen wie fachlichen Gründen rate ich auch dringend davon ab, zu denken, dass Pflege künftig wieder nur in der Familie stattfinden kann. Das kann sie nicht. Dafür ist Pflege einfach sehr, sehr, sehr anspruchsvoll. Was professionelle Pflegekräfte zur Pflege beitragen können, das lässt sich nicht in Familien- oder auch nicht auch im weiteren Familien- oder Freundeskreis auffangen. Das muss man deutlich sagen. Aber alles das, was im Privaten und Freundschaftlichen geleistet werden kann, das müsste in gewisser Weise auch anerkannt werden, und zwar nicht nur mit warmen Worten, sondern es sollte sich tatsächlich auch auf Ersatzleistungen auswirken, das finde ich schon. Da ist die Politik tatsächlich gefordert. Zumal die Zahl der Menschen, für die gesorgt werden muss, eben zunimmt. Denken Sie nur, wenn unsere Generation der heute 50 bis 60-Jährigen in das Alter kommt.
Ja, wir waren sowieso schon immer die Flut.
Wir können uns, glaube ich, künftig glücklich schätzen, wenn wir überhaupt nur in die Nähe von Pflegedienstleistungen kommen. Wenn wir jetzt nicht anfangen, darüber nachzudenken, wenn wir das nicht vehement einzufordern und diskutieren, dann weiß ich ehrlich gesagt nicht, wie es in 10 oder 15 Jahren aussieht.
0 Kommentare
Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.