Islam: „Ich empfehle immer, persönliche Gespräche und Kontakte vor Ort zu suchen“
Herr Herrmann: Hat Susanne Schröter mit dem Vorwurf, die Kirchen würden den Islamverbänden in Deutschland zu unkritisch gegenübertreten, Recht?
Nein, die Einschätzung von Frau Schröter trifft nicht den tatsächlichen Umgang der Kirchen mit dem Islam, wie ich ihn verstehe und praktiziere. Richtig ist, dass für die Kirchen auch der Dialog mit den Vertretern der Verbände gehört. Für uns ist der Dialog wichtig, um zu einem adäquaten Verständnis zu kommen. Auf diese Weise leisten wir einen Beitrag zu einem gelingenden Miteinander der Religionen. Wenn man der türkischen DITIB vorwirft, sie sei lediglich der verlängerte Arm Erdogans, oder dem Zentralrat der Muslime, er habe eine Nähe zur Muslimbruderschaft, ist, dann ist das in dieser Pauschalität wenig hilfreich. Natürlich ist uns die strukturelle Verbindung der DITIB zur DIYANET, also der türkischen Religionsbehörde, bekannt. Aber mit einem Etikett wie „Nähe zur Muslimbruderschaft“ kann man alles torpedieren. Wir als Kirchen versuchen hier doch etwas zu differenzieren. Einfache Schwarz-Weiß-Malerei wird der komplexen Situation in keiner Weise gerecht.
Nach welchen Kriterien beurteilen Sie, ob eine muslimische Gruppierung ein geeigneter Kooperationspartner ist?
Ich versuche, mich nicht von einer allgemeinen Diskussions- und Stimmungslage leiten zu lassen. Eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ist für mich noch kein hinreichender Grund, Gesprächspartner grundsätzlich zu meiden. Ich empfehle immer und handele auch selbst nach der Devise, persönlich in die Gespräche und Kontakte vor Ort zu gehen, um dort eigene Erfahrungen zu machen und somit zu eigenen Einschätzungen zu kommen. Diese konkreten Gesprächssituationen sind meines Erachtens durch nichts zu ersetzen. Sollte sich in diesen Kontakten herausstellen, dass unakzeptable Haltungen etwa zu Israel oder zur Demokratie eingenommen werden, dann wäre dies ein Anlass, das Gespräch nicht weiter zu suchen.
Hat sich das Verhältnis zur Ditib seit den jüngsten autokratischen Entwicklungen in der Türkei verändert?
Ja, es hat sich geändert. Die Spitzelaffäre und andere Vorkommnisse haben das Verhältnis sehr belastet. Viele im Dialog vor Ort Engagierte erzählen mir, dass lokale DITIB-Moscheen sich teilweise aus langen Kooperationen zurückgezogen hätten. Das ist bedauerlich, zeigt aber die große Unsicherheit, die momentan auf allen Seiten zu spüren ist – auch innerhalb der DITIB. Die ungeklärte Situation mit Blick auf den Islamischen Religionsunterricht in Hessen trägt ihren Teil zu dieser Unsicherheit bei. Ich habe den neuen Geschäftsführer des DITIB Landesverbandes Hessen und die Schulreferentin der DITIB in unsere Konferenz für Islamfragen der beiden hessischen Landeskirchen eingeladen. Ein Signal, dass wir am Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der DITIB festhalten. Die DITIB muss sich für die Zukunft sicher entscheiden, wohin sie möchte: Entweder treiben die Verantwortlichen eine Entwicklung voran, die die DITIB zu einem wichtiger Player im deutschen Kontext macht, oder die DITIB bleibt in den Strukturen einer türkischen Behörde gefangen und damit abhängig von politischen Entwicklungen in der Türkei. Kürzlich wurde ein Ausbildungszentrum für DITIB Imame in der Eifel eröffnet. Ein kleines Zeichen in die richtige Richtung. Es bleibt abzuwarten, wie die Entwicklung weitergeht. Aber von meiner Seite aus ist es richtig, eine grundsätzliche Bereitschaft zum Gespräch über diese kritischen aber auch anderen Fragen zu haben.
Arbeiten Sie auch mit liberalen Muslimen zusammen? Wo und mit welchen zum Beispiel?
Man muss fragen, was mit „liberal“ in diesem Kontext gemeint ist. Da ist zunächst eine theologische Ebene auszumachen, auf der etwa „orthodox“ oder „konservativ“ von „liberal“ zu unterscheiden wäre, wie das beispielsweise beim orthodoxen und liberalen Judentum der Fall ist. Es stimmt, dass auf Seiten der Verbände ein konservativer Islam vorherrscht, und ich wundere mich da auch manchmal über eine unkritische Herangehensweise an Texte des Korans. Aber ich finde, das sei ihnen zunächst einmal unbenommen. Auf dieser theologischen Ebene gibt es viele berechtigte Auseinandersetzungen zwischen liberalen, orthodoxen, konservativen oder auch fundamentalistischen Positionen, wie es sie in allen Religionen und ihren Theologien gibt. Wenn aber „liberal“ politisch gemeint ist und etwa einen Gegensatz zur „Ablehnung der Demokratie“ bedeuten soll, dann wird eine einfache Gegenüberstellung zwischen den Verbänden einerseits und den so genannten liberalen Muslimen der Sache nicht gerecht. Aber zu Ihrer Frage: Natürlich arbeite ich mit Muslimen zusammen, die nicht in Verbänden organisiert sind. Ein wichtiger Kooperationspartner ist zum Beispiel das Zentrum für Islamische Theologie in Frankfurt und Gießen. Wir führen in diesem Jahr mit ihnen die dritte Interreligiöse Fachtagung durch. An der Evangelischen Akademie in Hofgeismar gibt es eine jährliche Islamtagung, bei der in der Vorbereitung bereits Muslime involviert sind. Und ich bin im Vorstand des hessischen Forums für Religion und Gesellschaft (HFRG). Der Geschäftsführer ist Mitglied des Liberal Islamischen Bundes in Frankfurt, und ich arbeite als zweiter Vorsitzender dieses Gremiums sehr vertrauensvoll mit ihm zusammen.
Ein anderer Vorwurf ist, dass die Christen nicht zu ihren eigenen Werten stünden und auch die oft verfolgten Christen in muslimischen Ländern im Stich ließen. Wie sehen Sie das?
Das ist einfach nicht zutreffend. Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat auf ihrer Tagung im Mai 2019 dieses Thema behandelt. Dazu wurde nicht nur eine Stellungnahme veröffentlicht, an der ich mitgearbeitet habe, sondern auch eine Broschüre „Menschenrechte und Glaubensfreiheit“ veröffentlicht. Ein syrischer Christ hat auf dieser Landessynode einen viel beachteten Vortrag gehalten. Dass die Kirchen zu diesem Thema schweigen, ist einfach nicht wahr. Ich bin in regelmäßigem Kontakt mit unseren Partnern im Libanon. Sie signalisieren mir aktuell: Wenn ihr uns unterstützen wollt, dann ermutigt Leute, weiter zu uns zu kommen. Das machen wir! Im Zentrum Ökumene in Frankfurt beginnt im März die Vorbereitung für vier Pfarrerinnen und Pfarrer, die im Herbst für drei Monate nach Beirut gehen. Das ist ein Zeichen der Solidarität mit den Kirchen vor Ort. Dieses Programm führen wir schon über Jahre durch. Im Februar organisiere ich eine Reise nach Kairo. Wir werden uns auch darüber informieren, wie es den koptischen Christen in einem islamisch geprägten Land ergeht. Sie sehen: Wir haben die Situation der Christen und Christinnen in muslimischen Ländern nicht nur im Blick, sondern unterhalten lebendige Beziehungen zu ihnen.
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