Heiligabend und das Klima: Glitzern lassen oder Müll vermeiden?
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Einerseits....
Was für ein Irrsinn! Die Innenstädte versinken im Konsumrausch, Duftspiralen und Kitschgedudel vernebeln uns die Sinne. Weihnachten ist der Irrsinn des Spätkapitalismus. Da ist Fridays-for-Future und all das Gerede von Second-Hand und Qualitytime plötzlich vergessen. Schade. (von Angela Wolf)
Heute Morgen im Bad fragt mich mein Kind, ob ich Weihnachten oder Geburtstag besser finde. Meine Antwort: „Geburtstag!“ – „Ich auch!“, jubelt mein Sohn, und kurz stutze ich. Ist etwa mein Mantra, dass es an Weihnachten viel zu viel Kram gibt, den niemand braucht, endlich zu den Kindern durchgedrungen?
Aber nein, auch meine Kinder sind heiß darauf, an Heiligabend unter den Weihnachtsbaum zu stürzen und Geschenkpapier von möglichst großen Kartons zu reißen. Jedes Jahr kommt dieselbe unvermeidliche Frage der Schwiegereltern: Was wünschen sich die Kinder? Ich zähle auf, Playmobil, Lego, Babyborn, und schiebe bedeutungsschwer nach: „Ein Besuch im Theater wäre aber auch toll, oder mal in den Opel-Zoo.“
Aber dann folgen jedes Jahr wieder dieselben Bedenken meiner Schwiegermutter: Dass sie dann doch nichts zum Überreichen hätte, dass die Kinder sie dann doch doof fänden. Aber es wäre wirklich besser als die Mega-Playmobil-Dinolandschaft, die im Kinderzimmer verstaubt und sowieso zu viel Kinderzimmergrundfläche beansprucht, weshalb ich sie dann in absehbarer Zeit bei ebay Kleinanzeigen einstellen werde.
Ich starte also wieder nach dem Motto „Euer Konsum kotzt mich an!“ in die Vorweihnachtszeit. Die Innenstadt ist für mich eine Hölle voller ferngesteuerter Konsumrausch-Opfer, die tausende von Euros sinnlos in den Tempeln des Kapitalismus versenken. Bei Amazon laufen die Abfertigungsbänder heiß, Extraschichten für die schlecht bezahlten Mitarbeiter dort. Irrsinn. Da quatschen wir das ganze Jahr über Fridays-for-Future und den minimalistischen Kleiderschrank, über Second-Hand, Achtsamkeit, Burn-Out und Qualitytime. Und dann?
Vielleicht funktioniert es ja über die Duftstoffe, die gerade in der Vorweihnachtszeit die Luft durchziehen und die ich übrigens auch ganz schlimm finde. Vielleicht triggern sie die Gehirne der Massen an. Mich lassen sie kalt. Vielleicht deshalb, weil die meisten Geschenke, die mir gemacht werden, nur so lala sind. Für den Reiturlaub auf Island hat es bisher jedenfalls nicht gereicht.
Aber auch ich finde Weihnachten schön (an manchen Stellen). Wenn meine Kinder Weihnachtslieder vor sich hin summen. Wenn wir den Kindergottesdienst an Heiligabend besuchen und im Anschluss einen Spaziergang im Dunklen machen. Wenn wir beschließen, nur unter uns zu feiern und somit nicht die Erwartungen der Familie enttäuschen, zum Beispiel weil die Kinder das Essen nicht mögen, oder die andächtige Stimmung stürmen oder nicht auf Kommando Weihnachtslieder aus dem Liedheft der Bunten mitträllern, obwohl ihr Papa (wie eh und je) am Klavier sitzt.
Weihnachten, das möchte ich meinen Kindern mitgeben, soll Ruhe und Zeit bedeuten. An Heiligabend im Pyjama abhängen, schöne Weihnachtsbücher lesen, die wir in der Bibliothek ausgeliehen haben. Die CD von Sternschnuppe hören, die wir alle synchron mitsprechen und mitsingen können (sogar den fränkischen Dialekt).
Sachen gibt es doch das ganze Jahr. Zum Beispiel auf den vielen Kindersachenflohmärkten. Meine Kinder werden dort immer mit einem Betrag X ausgestattet und dann losgelassen. Wenn sie pleite sind, ist Schluss. Im Gegenzug muss ein- bis zweimal im Jahr der eigene Schrank ausgemistet werden. Das fällt schwer, aber der Anreiz ist da: Das Geld, das sie mit dem Verkauf der Sachen einnehmen, dürfen sie für neuen Schrott ausgeben. „Yippie“ rufen sie dann.
Andererseits...
Lasst es glitzern! Wenn sich überbordender Konsum auf einen Tag im Jahr beschränkt, hilft das vielleicht, die alltägliche Ressourcenverschwendung zu kanalisieren. An Weihnachten darf es ruhig mal glitzern und knistern und von allem zu viel sein. Vernünftig können wir dann die restlichen 364 Tage sein. (von Anne Lemhöfer)
„Wenn Weihnachten ist, wenn Weihnachten ist, dann kommt zu uns der heilige Christ, und dann bringt er uns ne Muh, und dann bringt er uns ne Mäh, und dann bringt er uns die aller-schönste Täterätätä… – Dieses Lied stammt aus dem Jahr 1915 und beweist: Ein ordentlicher Konsumrausch ist schon sehr lange Teil von Weihnachten.
Wenn das Glöckchen früher nach dem Kirchgang und einer Spannungspause (kaum auszuhalten) endlich klingelte, konnte ich förmlich spüren, wie mein Herz hüpfte und es im Bauch zu kribbeln begann. Die Bescherung (ein Wort, das nur zu Weihnachten verwendet wurde) war für uns Kinder der Höhepunkt des Jahres. Auch wenn es, jaja, natürlich um etwas anderes ging am Heiligen Abend. Das erkannten wir voll an, und hatten im Gottesdienst ja auch schon ausgiebig die Krippe mit dem Jesuskind gewürdigt. Aber jetzt war anderes wichtig: Ob wirklich der große Lego-Flughafen unterm Baum liegen würde? Das ferngesteuerte Auto? Der Sony-Walkman?
Ich frage im Freundeskreis nach. Was war euer schönster Weihnachtsmoment als Kind? „Als ich das Papier eines riesigen Geschenks aufriss, und tatsächlich die Carrera-Bahn drin war“, sagt der alte Schulfreund. „Als ich das große Barbiehaus bekam, obwohl meine Mutter Barbies furchtbar fand“, erzählt die Unifreundin. Wir beschenken einen Menschen und spüren, wie sehr er sich freut. Weil ein Strahlen über sein Gesicht huscht. Weil das überraschte „Ohhh, du hast wirklich…?“ so authentisch klingt. Und überbordender Konsum ist ja auch nur deshalb ein Problem, weil wir ihn lieben. Wir alle. Sonst könnten wir ihn ja einfach sein lassen.
Leider machen Dinge glücklich. Die überteuerte Retro-Gießkanne für Schwager und Schwägerin hat ihnen vor zwei Jahren ernst gemeinte Begeisterungsstürme entlockt und uns Schenker mit Geschmack geadelt. Aber ist wahrer Luxus heutzutage nicht Zeit? Zeigen selbst gemachte Geschenke nicht viel direkter die Liebe für den Beschenkten? Und soll man den Kindern nicht angesichts des Klimawandels vermitteln, dass es wichtigere Werte als materielle gibt? Dass Konsumgüter (gerade die Plastikteile aus dem Spielzeugladen) unseren Planeten kaputt machen?
Meine Antwort ist zweigeteilt. Zunächst mal: Ja, das sollte man unbedingt tun. Aber: Nein, nicht am 24. Dezember. Vielleicht können wir den Konsumrausch in den Griff bekommen, wenn wir ihn kanalisieren. Gerade für die Kinder. Ein Tag im Jahr ist für all die Herrlichkeiten reserviert, die einem in Schaufenstern und in der Werbung entgegenschreien: „Kauf mich!“ Wenn ich sehe, wie meine Kinder mit heiligem Ernst von September an die Lego- und Playmobilkataloge durchschauen (wo haben sie die nur immer her?), dann ahne ich: Es muss so sein.
Es ist nicht schlimm, wenn Kinder Wunschzettel schreiben, auf denen nicht „Weltfrieden“ steht. Ein Anrecht auf Zeit, die wir mit ihnen verbringen, haben sie sowieso, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein und kein besonderes Geschenk einmal im Jahr. An einem Tag im Jahr darf es glitzern und knistern und von allem zu viel sein. Zusammen im Kerzenschein unterm Baum das viel zu große Playmobil-Schloss und den viel zu martialischen Lego-Ninjago-Drachen aufbauen und dabei viel zu viele süße Plätzchen essen und viel zu spät ins Bett gehen: Kann es schönere gemeinsame Qualitätszeit geben? Vernünftig kann man dann ja an den restlichen 364 Tagen sein.
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