Frankfurter Gemeinden 1968: voll auf der Seite des Establishments
Während das Frankfurter Stadtjugendpfarramt und die Evangelische Studentengemeinde sich den Protesten der Studenten anschlossen, standen die meisten Kirchengemeinden im Jahr 1968 klar auf der Seite des „Establishments“.
Das betraf nicht einmal so sehr die Inhalte, sondern mehr noch die Art und Weise des Protestes: „Die Formen, in denen sich der äußerte, riefen ehrliche Ablehnung hervor,“ erinnert sich Jürgen Telschow.
Der spätere Verwaltungschef der Frankfurter Kirche hatte damals gerade als junger Justiziar beim Evangelischen Gemeindeverband angefangen. „Mir selbst ist das auch so gegangen, ich hatte ja den Krieg noch erlebt und war sparsam aufgewachsen. Die Vorstellung, dass man im Studium so etwas macht, lag mir völlig fern.“
Genauso verständnislos reagierten die meisten Gemeindemitglieder, als Studenten und Studentinnen am Karfreitag 1968 mit so genannten „Go-ins“ die Gottesdienste stürmten, erst in der Katharinenkirche, dann in der Peterskirche. Eine Woche nach der Ermordung von Martin Luther King und einen Tag nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke wollten sie, dass sich die Kirche positioniert, dass über diese Dinge diskutiert wird. Aber sie stießen überwiegend auf taube Ohren.
Das lag nur teilweise daran, dass in den Kirchenvorständen noch alte, nationalistische und obrigkeitshörige Positionen verbreitet waren. Auch das damals „linke“ Spektrum in der evangelischen Kirche konnte mit dem libertären Revoluzzertum wenig anfangen.
„Dabei hatten die Frankfurter Gemeinden manche Themen sogar schon früher aufgegriffen als die Studenten“, sagt Telschow. Zum Beispiel die Wohnungspolitik und die drohende Verslummung des Westends. „Dazu hatte es schon kleine Demonstrationen gegeben, organisiert von Mitgliedern der Katharinengemeinde.“ Aber das alles spielte sich eben immer im bürgerlichen Rahmen ab.
Politische Differenzen innerhalb der Gemeinden drehten sich zu jener Zeit vor allem um die Frage, wie man zu Martin Niemöller stand. Der berühmte Hitler-Gegner war von 1947 bis 1964 Kirchenpräsident in Hessen und Nassau gewesen und immer noch Mitglied der Synode. Nicht nur seine antifaschistische Vergangenheit, auch seine meist radikalpazifistischen Positionen gefielen vielen politisch eher Rechtsstehenden gar nicht.
Aber auch Martin Niemöller hielt von den 1968er-Protesten und vor allem von ihrem „antiautoritären“ Anspruch nicht viel. Als die Synode im Herbst 1968 eine vorsichtige Demokratisierung ihrer Strukturen beschloss, legte er aus Protest sein Synodalenamt nieder. „Die Kirche ist keine Demokratie, weil sie nämlich einen Herrn hat“, appellierte er an die Delegierten. „Lassen Sie das um Himmels willen nicht in unserer Kirche einreißen.“
Den Marsch der 1968er durch die Institution Kirche konnte aber auch Niemöller nicht mehr aufhalten.
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