"Evangelikale Hetzjagden" gegen den Weltkirchenrat
Evangelikale Kirchen seien maßgeblich an den Wahlsiegen von Donald Trump in den USA und Jair Bolsonaro in Brasilien beteiligt gewesen und hätten „fast den Friedensprozess in Kolumbien gekippt“, sagte Enns. Der Mennonit, der an der Universität Amsterdam Ethik lehrt, war einer der Gäste bei der Tagung zum 70. Jubiläum des Weltkirchenrates in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Es gebe zurzeit regelrechte „evangelikale Hetzkampagnen gegen den ÖRK“, der als Werk des Teufels beschimpft werde, warnte Enns: „Da formiert sich eine evangelikale Gegenkirche, wir müssen aufpassen, nicht marginalisiert zu werden.“
Zum Glück seien aber zahlreiche evangelikale Freikirchen bei den Sitzungen und Konferenzen des ÖRK zugegen, auch wenn sie nicht offizielle Mitglieder sind. Hier würden derzeit sogar Gräben überwunden. „Wir Liberale haben einiges an Arroganz abgelegt und die Evangelikalen haben Misstrauen abgelegt“, sagte Enns. Bedrohlich seien allerdings die stark wachsenden Neoevangelikalen: „Sie sind eine Gefahr und weit weg vom Evangelium.“
Im Lauf seiner 70-jährigen Geschichte habe der ÖKR viele Erfolge vorzuweisen, die allerdings oft kaum bekannt seien. So hätte der Weltkirchenrat in Brasilien die Verbrechen der Militärdiktatur dokumentiert und in Südafrika wäre, wie Nelson Mandela gesagt hat, „ohne den ÖRK die Apartheid nie zu Fall gebracht worden“.
Als vor 70 Jahr der Ökumenische Rat der Kirche gegründet wurde, stand die Einheit der christlichen Kirchen im Vordergrund. Angesichts der Verheerungen, die zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise hinterlassen hatten, galt das Augenmerk stets auch der Bewahrung von Frieden und Gerechtigkeit.
Wichtig für die politische und internationale Ausrichtung des Weltkirchenrates sei vor allem die Volksversammlung 1968 im schwedischen Uppsala gewesen, sagte Martin Dobra, Berater des ÖRK-Generalsekretärs Olav Fykse Tveit. Er erinnerte bei der Feier in der Evangelischen Akademie an die vielen wichtige Themen, angestoßen wurden: die Bekämpfung von Rassismus, Armut und Gewalt, den „konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, die Solidarität mit den Frauen, die Kritik am ungerechten Wirtschafts- und Finanzsystem sowie den 2013 gestarteten Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens. Heute seien Delegationen des Weltkirchenrats an den Friedensprozessen in Korea, im Süd-Sudan, in Kolumbien, im Kongo und in Syrien beteiligt, ebenso wie bei der Annäherung zwischen Eritrea und Äthiopien.
Wie stark die Geschichte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) durch den ÖRK geprägt ist, schilderte die Darmstädter Dekanin Ulrike Schmidt-Hesse. So sei Martin Niemöller, der erste Kirchenpräsident, auch ÖKR-Vollversammlungspräsident gewesen. Ökumene, also die Zusammenarbeit mit anderen Kirchen, gehöre zum Selbstverständnis der EKHN, und der Einsatz für Frieden, Überwindung von Gewalt, Solidarität mit Frauen und gerechte Globalisierung seien Kernthemen. Auch das Bewusstsein für ethische Geldanlagen und das Engagement für Geflüchtete habe viel mit der Verbundenheit zum Weltkirchenrat zu tun. Die ökumenische Zusammenarbeit halte dazu an, Vielfalt wahrzunehmen und wertzuschätzen und Verschiedenheit als Charakteristikum des Christentums zu sehen: „Der ÖRK ist für die Einheit der Weltchristenheit und als Impulsgeber, Austauschplattform, Lernort und Stachel im Fleisch auch in Zukunft ein unverzichtbarer Akteur.“
Die konfessionsübergreifende Zusammenarbeit ist umso wichtiger, als es auch deutliche Differenzen zwischen den ÖRK-Mitgliedskirchen gibt, vor allem was Frauenordination und Homosexualität anbelangt. Als „Einheit im Widerspruch“ brachte Priester Constantin Miron von der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland das Prinzip auf den Punkt. „Es ist ein guter Lernprozess“ – inzwischen finde er es völlig normal, eine Pfarrerin predigen zu hören, „beim ersten Mal ist es ein Aha-Erlebnis gewesen“.
Als Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland freue er sich zudem über die fortschreitende Annäherung der Kirchen. Anders als heute hätten sich früher die etablierten Kirchen kaum mit den Ostkirchen oder den Kirchen des Südens ausgetauscht. „In Frankfurt ist die Indonesische Gemeinde jetzt sogar auf dem Römerberg angekommen.“
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