Engagement für Flüchtlinge: „Zerreißproben gab es in den Gemeinden nicht“
Frau Harzke, im Herbst 2015 musste es schnell gehen: Eine große Zahl von Flüchtlingen kam nach Deutschland und auch nach Frankfurt. Wie war die Situation damals in den Gemeinden?
Die Entwicklung der Flüchtlingszahlen damals konnte niemand ahnen. Klar hatte man sich gesagt, dass die Menschen irgendwann fliehen und ein besseres Leben suchen, wenn man auf die Bürgerrechtssituation und Kriege in manchen Ländern schaut. Aber wir wurden doch überrascht. Die Gemeinden waren sehr unterschiedlich vorbereitet. Manche haben gleich zugepackt und gesagt, das können wir leisten, und sich schnell gut organisiert gezeigt, andere weniger.
Wie kam es zu Ihrer Projektstelle?
Ich hörte, die eine Gemeinde macht dies, die andere hat jene Idee, aber man wusste nichts voneinander. Da habe ich mich an Prodekanin Ursula Schoen gewandt, und wir haben die Idee einer zentralen Koordination mit einer Projektstelle entwickelt. Zuallererst haben wir Treffen der Pfarrerinnen und Pfarrer organisiert, um zu besprechen, was wir brauchen und welche Unterstützung für die Ehrenamtlichen erforderlich ist. Die Flüchtlingshilfe hat sich in dieser Zeit rasant entwickelt, auch seitens der Stadt, es entstanden Initiativen wie „Frankfurt hilft“ oder „Menschen wie wir“ von der Diakonie. Am Anfang war es uns zudem wichtig, die Angebote der Gemeinden bekannt zu machen.
Woher kamen die Ehrenamtlichen?
Das war absolut bunt gemischt. Es tauchten auch eine Reihe von Kirchendistanzierten in den Gemeinden auf, die dann wieder auf dem Schirm hatten, dass die Kirche nicht einfach nur ein Gebäude im Stadtteil ist. Sie haben erlebt, was kirchliche Arbeit ausmacht, und dass Christsein heißt, sich für andere, gerade auch für Flüchtlinge, einzusetzen. Die Bibel ist ein Buch voller Fluchtgeschichten. Das hat viele beeindruckt. Wir haben wirklich große Hilfsbereitschaft erfahren. Bei uns in Sankt Thomas lebte ein Eritreer im Kirchenasyl, und als ich in der Probe der Kantorei davon erzählte, konnte ich mich gar nicht mehr retten vor Hilfsangeboten.
Ließen sich alle Hilfsangebote umsetzen?
Die meisten, aber man musste natürlich auch erst einmal hinschauen, was angeboten und was gebraucht wird. Von Vorteil war natürlich, dass wir als Kirche sehr vernetzt sind, wir haben neben den Gemeinden auch Beratungsstellen, Unterbringungsmöglichkeiten, rechtliche Expertise. Ich habe bei meiner Projektarbeit natürlich eng mit dem Zentrum Ökumene in Praunheim, dem Diakonischen Werk oder unseren Beratungs- und Therapieeinrichtungen zusammengearbeitet. Mein Kollege Ulrich Schaffert aus der Nordweststadt gehört dem Hessischen Flüchtlingsrat an, und auch dort waren viele positiv überrascht, wie aktiv und vernetzt Kirche bei der Hilfe für Flüchtlinge ist.
Was konnten Sie den Ehrenamtlichen zur Unterstützung bieten?
Wir haben manches ausprobiert: Flüchtlingscafés, in denen sich Ehrenamtliche austauschen konnten, waren nur bedingt attraktiv, weil das vielen neben der Arbeit und dem Engagement zu viel wurde. Gut angekommen ist Supervision, wofür die evangelische Kirche ja Fachleute hat. Meist habe ich Gruppensupervisionen organisiert, in einigen Fällen aber auch Einzelsupervision. Viele Ehrenamtliche müssen ja erst einmal herausfinden, wie belastbar sie sind, und welches Ausmaß ihr Einsatz sinnvollerweise annehmen soll.
Hat die Flüchtlingsarbeit die Gemeinden verändert?
Ja. Neue Aktive, neue Ideen und Impulse kamen rein, es wurden Initiativen gestartet wie zum Beispiel eine Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge, Kochkurse für Flüchtlinge und Einheimische, Sprachcafés und vieles mehr. Besonders deutlich wurde das beim Thema Kirchenasyl, wo etliche Gemeinden sagten: Hier müssen wir etwas tun, wir können nicht einfach zusehen, wie der Flüchtling, den wir schon länger begleiten, in eine völlig ungewisse Zukunft und in Gefahr abgeschoben wird.
Wie viele Gemeinden gewähren Kirchenasyl?
Die Anfragen nach Möglichkeiten für Kirchenasyl steigen stetig. Wir können nicht alle befriedigen, aber hier in Frankfurt sind es etwa sechs Gemeinden, die Menschen ins Kirchenasyl aufnehmen. Die Unsicherheiten sind allerdings auch groß, die Beratung von Kirchenvorständen und Pfarrkolleginnen und -kollegen zu dem Thema machte einen großen Teil meiner Arbeit aus. In Frankfurt haben wir ja Gott sei Dank Unterstützung durch ein gutes Netzwerk von Rechtexpertinnen beim Diakonischen Werk. Der Beratungsbedarf in den Gemeinden ist trotzdem da und wird auch bleiben.
Sind die Gemeinden dadurch politischer geworden?
In vielen Fällen
haben sich Gemeinden sehr intensiv mit der Lage der Flüchtlinge und der
rechtlichen Situation auseinandergesetzt und die vielen Ungerechtigkeiten und
menschlichen Tragödien selbst miterlebt. Viele bekräftigten: Wir müssen da
etwas tun, wir als Kirche müssen etwas tun. Kirchenasyl gibt es ja seit 30
Jahren, mittlerweile ist es eine große Bewegung, und viele Gemeinden bundesweit
sind engagiert. Es geht dabei ja nicht darum, sich über das Recht zu stellen. Sondern
es geht um die Fehler, die immer wieder passieren, oder darum, in
besonderen humanitären Härtefällen Zeit zu gewinnen, um den Fall noch
einmal zu prüfen. Der einzelne Mensch steht im Vordergrund.
In der Presse war auch die Rede von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern, die das Christentum für sich entdeckten, wobei ihnen auch unterstellt wurde, das nur aus asyltaktischen Gründen zu tun. Wie sind Sie damit umgegangen?
Vorsichtig und respektvoll. Meist waren es Muslime und Musliminnen aus dem Iran, die sich mit dem Wunsch nach Taufe an uns gewandt haben. Dafür wurden Tauf- und Glaubenskurse entwickelt, es ging da auch erst einmal um Wissensvermittlung. Es verändert eine Gemeinde meist im positiven Sinn, wenn eine Gruppe Menschen ganz neu fragt: Was macht euren Glauben aus? Wie lebt ihr den? Warum ist es so, wie es ist bei euch?
Es gab doch bestimmt auch kritische Stimmen dagegen, dass sich die Kirche so für Flüchtlinge einsetzt?
Nicht so viele. Manche Gemeindemitglieder haben sich vielleicht etwas zurückgezogen, und klar gab es auch kritische Stimmen gegenüber der Flüchtlingspolitik und Sorgen, dass zu viele kommen. Aber Zerreißproben gab es nicht. Vielmehr habe ich auch erlebt, dass skeptische Gemeindemitglieder, die die Menschen im Kirchenasyl erst einmal kennengelernt haben, nach anfänglicher Kritik gesagt haben: Jetzt ist er halt da, jetzt müssen wir natürlich helfen.
In den vergangenen Monaten war davon die Rede, dass das Engagement für Flüchtlinge zurückgeht. Ist das so?
Die erste Euphorie aus den Tagen, als im September 2015 so viele Menschen an die Bahnhöfe kamen, um Hilfe anzubieten, ist sicher verflogen. Die Situation hat sich ja gewandelt. Manche haben auch für sich nach einer Zeit eine Art Abschluss gefunden. Aber grundsätzlich kann ich sagen, dass es in den Gemeinden noch sehr viel Engagement gibt, das die Flüchtlingsarbeit trägt, mit großer Selbstverständlichkeit, das finde ich sehr beeindruckend. Allerdings ist jetzt auch oft Erschöpfung zu spüren.
Wie geht es weiter?
Wenn ich mir die Nachrichten anschaue, glaube ich nicht, dass das Thema vom Tisch ist. Flucht und Migration werden uns noch lange beschäftigen, wie aktuell zum Beispiel das Thema Familiennachzug. Wir haben eine Reise mit ehrenamtlichen Flüchtlingshelferinnen und -helfern nach Lesbos in Griechenland organisiert und dabei das Thema hautnah erlebt. Die Gruppe dieser Ehrenamtlichen hat sich in einer Resolution klar dafür ausgesprochen, dass Familien zusammengehören. Hier haben wir als Kirche und Diakonie eine wichtige Aufgabe. Wir müssen weiterhin die Stimme erheben, wenn Dinge schief laufen, um den betroffenen Menschen zu helfen. Und natürlich ist es unser Auftrag weiterhin als Kirchengemeinden die Geflüchteten freundlich aufnehmen und die gute Arbeit an vielen Orten weiter zu tun, um sie in ein Leben hier zu integrieren und im Alltag zu unterstützen.
1 Kommentar
Sehr geehrte Frau Behler, danke für diesen Artikel. Dass die EKHN durch diese Stelle und auch durch das von Ihnen beschriebene Engagement von Pfarrerin Anja Harzke so schnell und wirksam auf die geflohenen Menschen reagieren und Netzwerke aufbauen konnte, hat viel Gutes für die Betroffenen und für das Zusammenleben in der Stadt bewirkt. Ich habe gehört, dass diese Stelle nun aber nicht mehr weiter finanziert wird von Seiten der Kirche. Die umfangreiche Arbeit, die dort geleistet wurde, ist aber nicht überflüssig geworden. Darum wundert es mich, dass das Erreichte dargestellt wird, ohne über die beabsichtigte Entwicklung in der näheren Zukunft zu berichten. Es ist mir unverständlich, dass unsere Kirche ein Arbeitsfeld eröffnet und eine erfolgreiche Arbeit darin beendet, obwohl die politische Entwicklung ja zeigt, dass die Thematik noch lange anhalten wird. Ich bin besorgt darüber, wie Kirchengemeinden in der Mitwirkung bei der Integration von Flüchtlingen weiterhin gestärkt werden und fürchte, dass die Entscheider über die Zukunft der Stelle unterschätzt haben, was da zu leisten ist. Sie haben es dargestellt. Meine Sorge ist, dass die Kirche hier erneut hauptamtliche Arbeit auf Ehrenamtliche verlagert. Gerade, weil die Haltung gegenüber Flüchtlingen zur Zeit in Teilen der Gesellschaft und auch der Kirche umschlägt, ist es um so bedeutender, dass Engagierte gestärkt werden durch gute Informations- , Vernetzungs- , und Lobbyarbeit und konkrete, kompetente Beratung bei Fragen, die vor Ort auftreten. Gemeinden in die Verantwortung zu rufen und ihnen zugleich durch Stellenstreichung Unterstützung zu entziehen, ist unlauter. Mit besten Grüßen U.Trippel