Auf die Leute hören, nicht „das Volk“ stark machen
Wenn Populisten skandieren „Wir sind das Volk“ und auf die Eliten schimpfen, dann finden sie großen Anklang. Denn tatsächlich haben viele Menschen den Eindruck, an den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr beteiligt zu sein und von „denen da oben“ nicht gehört zu werden. Es ist also wichtig, dass „die da oben“ – das heißt Politikerinnen und Pfarrer, Journalisten und Wissenschaftlerinnen und so weiter – diesem Eindruck entgegenwirken. Leider tun das viele, indem sie selbst populistisch werden.
Eine interessante Alternative präsentierte bei der Tagung „Die Kirchen und der Populismus“ der Innsbrucker Theologieprofessor Christian Bauer: Er schlug vor, statt von „dem Volk“ von „den Leuten“ zu sprechen, was eine ebenso mögliche Übersetzung des lateinischen „Populus“ ist. Während der Begriff des „Volks“ den Eindruck einer einheitlichen Masse erweckt, mit klaren Grenzen, wer dazu gehört und wer nicht, sind „die Leute“ vielfältig und an den Rändern gewissermaßen „ausgefranst“.
Zu „den Leuten“ gehören alle, die arbeits- und orientierungslosen ostdeutschen Männer ebenso wie die überlasteten alleinerziehenden Mütter, die Enkel der türkischen „Gastarbeiter“, die auch nach drei Generationen noch diskriminiert werden, ebenso wie der pensionierte Oberstudienrat, der es unmöglich findet, dass Schwule und Lesben heutzutage heiraten dürfen, die Verkäuferin, die von ihrem Lohn die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen kann, ebenso wie der Software-Spezialist, dessen Job gerade nach Indien outgesourct wurde.
Wer in einem gesellschaftlichen Amt nicht „abgehoben“ sein will, muss tatsächlich mit all diesen – und noch vielen anderen – Leuten reden und ihnen vor allen Dingen zuhören. Demokratische Kultur bedeutet nicht, dass man die eigene Meinung als „Volkes Stimme“ ausgibt und mit Anekdoten vom Taxifahrer unterfüttert, der neulich irgendwas gesagt hätte. Sondern demokratische Kultur bedeutet, dass man als Mensch in einer verantwortlichen Position tatsächlich nach Lösungen für die realen Probleme „der Leute“ sucht und nicht andere Agenden verfolgt. Dass man versteht, dass Lösungen nur gefunden werden können, wenn man „den Leuten“ zuhört und ihre Lebensrealitäten kennenlernt. Und: Dass Politik so organisiert sein muss, dass wirklich alle sich daran beteiligen können.
Der Begriff „Volk“ ist dafür aber schon aus historischen Gründen ganz unbrauchbar. Erst recht aus christlicher Perspektive. Christinnen und Christen kennen keine nationalen Völker, für sie ist nur ein Volk wichtig: das Volk Gottes.
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