Politik & Welt

Arnd Henze: Die autoritäre Geschichte des Protestantismus aufarbeiten

Die evangelische Kirche gilt als eine besonders demokratische Religionsgemeinschaft – aber das war nicht immer so, sagt der Autor und Journalist Arnd Henze. Sich kritisch mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen sei notwendig, um rechtspopulistischen Vereinnahmungs-Versuchen etwas entgegen setzen zu können.

Der Journalisti Arnd Henze (rechts) und Moderator Steffen Bauer von der Evangelischen Ehrenamtsakademie beim Webinar über die antidemokratische Geschichte des deutschen Protestantismus. | Foto: Antje Schrupp
Der Journalisti Arnd Henze (rechts) und Moderator Steffen Bauer von der Evangelischen Ehrenamtsakademie beim Webinar über die antidemokratische Geschichte des deutschen Protestantismus. | Foto: Antje Schrupp

Die NPD wirbt mit Plakaten von Martin Luther, Rechtspopulisten entdecken den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer als Kronzeugen für ihren eigenen „Widerstand“ gegen die Regierung Merkel: Viele Pfarrerinnen und aufrechte Protestanten reagieren empört auf solche Versuche, prominente evangelische Gewährsmänner vor einen rechtsextremen Karren zu spannen.

Doch Empörung reicht nicht, meint Arnd Henze. Denn es seien nicht alle diese Zitate und Anleihen einfach aus dem Kontext gerissen und entstellt. „Bis 1933 war der deutsche Protestantismus durch und durch antidemokratisch“, stellte der Journalist bei einem Webinar für Ehrenamtliche in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau klar. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich autoritäre und nationalistische Denkmuster noch lange in den meisten Gemeinden gehalten. Das heute viel gerühmte Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945, bei dem die Evangelische Kirche Deutschlands eine Mitschuld am Nationalsozialismus eingestand, sei größtenteils eine reine Pflichtübung gewesen, um wieder in die weltweite Ökumene aufgenommen zu werden.

Wirkliche Veränderungen in den Positionen der evangelischen Gemeinden in Deutschland habe es erst nach 1968, angestoßen durch die Studentenbewegung gegeben. „In einer unglaublichen Lernkurve hat man sich da innerhalb von wenigen Jahren die Demokratie angeeignet“, sagte Henze.

Allerdings würde man sich darauf heute auch ein Stückweit ausruhen. „Wir haben vergessen, dass das nicht unsere Geschichte ist“, sagte Henze, der sich selbst auch in seiner Kirchengemeinde engagiert. „Es gibt eine historische Vorbelastung für das Autoritäre, das Nationalistische und das Völkische, wir bewegen uns hier auf brüchigem Eis.“

Repräsentative Studien würden zeigen, dass autoritäres Denken bei regelmäßigen Kirchgänger*innen weiter verbreitet sei als bei Kirchendistanzierten oder Konfessionslosen, sagte Henze, der auch ein Buch zum Thema geschrieben hat.

Ein Problem sei vor allem die Homogenität der heutigen Kirchengemeinden, die in ihrer personellen Zusammensetzung eher noch das Deutschland des 20. Jahrhunderts spiegeln, aber nicht die Lebensrealität von heute. „Wir haben in den Gemeinden viele Lernprozesse verschlafen, weil wir dort einfach nicht die notwendigen Begegnungen haben.“

Den in der Kirche engagierten Teilnehmer*innen des Webinars gab Henze den Rat, aktiv zu versuchen, aus der eigenen „Blase“ hinauszukommen. Ganz praktisch könnte man sich zum Beispiel bei jeder Kirchenvorstandssitzung eine halbe Stunde Zeit nehmen, um darüber zu sprechen, welche Themen und Probleme im eigenen Stadtteil gerade relevant sind und was man als Gemeinde dazu beitragen will.

Gleichzeitig müssten Kirchenleute mehr Sorgfalt darauf verwenden, die eigenen progressiven Beschlüsse zu vermitteln. Die Anschaffung eines Seenotrettungs-Schiffes zum Beispiel, die Henze selbst mit angeregt hat und unterstützt, sei nur unzulänglich auch gegenüber Skeptiker*innen in den eigenen Reihen kommuniziert worden. Man könne aber nun einmal aufgrund der eigenen antidemokratischen Geschichte nicht davon ausgehen, dass es unter protestantischen Gemeindemitgliedern eine selbstverständliche große Mehrheit für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer gebe.

Zum Weiterlesen

„Es hat lange gedauert, bis sich die Kirche mit der Demokratie angefreundet hat“

Wie junge Leute die Revolution mitten in die Kirche trugen

Arnd Henze: "Kann Kirche Demokratie? Wir Protestanten im Stresstest." Herder 2019


Schlagwörter

Autorin

Antje Schrupp 240 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social

0 Kommentare

Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.

Artikel kommentieren

Wir freuen uns, wenn unsere Beiträge zu Diskussion und Austausch beitragen. Dabei bitten wir, auf angemessene Umgangsformen zu achten und die Meinung anderer zu respektieren. Bei Verstößen gegen unsere Netiquette-Regeln behalten wir uns vor, Kommentare nicht zu veröffentlichen.

Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder.

Errechnen Sie die Summe der dargestellten Zahlen
Captcha =