Antisemitisch sind immer nur die anderen
Der Nahostkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, inbesondere der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und Westjordanland, ist einer der langwierigsten internationalen Konflikte. Er ist brutal, grausam, kostet viel zu viele zivile Opfer und wird auf beiden Seiten von Hardlinern befeuert, die an allem Möglichen interessiert sind, aber nicht an einer vernünftigen, tragfähigen Lösung.
Was sich aber in den vergangenen Monaten auch gezeigt hat, ist, wie leicht sich antijüdische Ressentiments auch heute noch beleben lassen. Antisemitische Ideen sind offenbar so tief in der Vorstellungswelt ganz unterschiedlicher Kulturen verankert, dass sie fast schon auf Knopfdruck abgerufen werden können. So wie die Idee, dass Juden als Gruppe oder Volk viel mächtiger und einflussreicher wären, als es scheint. Oder dass sie allein für Probleme verantwortlich zu machen sind, die in Wahrheit komplexe und vielschichtige Ursachen haben.
Die Hamas und ihre Verbündeten spielen erschreckend virtuos auf dieser Klaviatur. Eine Taktik, die sie dabei anwenden, ist das „Dogwhistling“. Dabei werden Symbole verwendet, deren wirkliche Bedeutung viele nicht verstehen, so wie die Töne einer Hundepfeife für menschliche Ohren zu hoch sind. Berühmtestes Beispiel sind die rotgefärbten Hände, die Student:innen bei antiisraelischen Protesten hochhalten, im Glauben, sie stünden für das Blut an den Händen des israelischen Militärs. Es ist ihnen gar nicht klar, dass sie in Wirklichkeit einen Lynchmord an israelischen Soldaten in Ramallah feiern. Dort zeigten sich im Jahr 2000 die Täter stolz mit ihren blutbeschmierten Händen am Fenster.
Tatsächlich zeugen viele gut gemeinte Aktionen im universitären oder künstlerischen Milieu von einem frappierenden Unwissen über antisemitische Hintergründe. Da wird vieles nur angedeutet und gegebenenfalls abgestritten. So changiert „Israelkritik“ oft absichtsvoll zwischen der vollkommen legitimen Kritik an israelischer Politik und einer antisemitisch motivierten Ablehnung der bloßen Existenz von Israel als jüdischem Staat.
Was allerdings auch überhaupt nicht weiterhilft, das ist eine bestimmte Attitüde unter deutschen Konservativen, die sich jetzt ganz auf einen „muslimischen“ oder „postkolonialen“ Antisemitismus kaprizieren. Gerade in Deutschland ist Antisemitismus nun wirklich kein Importgut. Es sollte sich verbieten, das Thema für die eigene politische Agenda zu instrumentalisieren.
Ob Solidarität und Empathie für jüdische Menschen ernst gemeint sind, zeigt sich daran, ob man sich auch selbstkritisch an die eigene Nase fasst oder immer nur die anderen für antisemitisch hält. Die verschiedenen antijüdischen Traditionen beziehen sich aufeinander und bestärken sich gegenseitig. Sie alle sind gleichermaßen gefährlich.
Was ist Antisemitismus?
Die Evangelische Akademie Frankfurt veranstaltet eine Reihe zu unterschiedlichen Formen des Antisemitismus. Ein Abend über die deutsche Geschichte ist schon vorbei, aber es folgen noch Abende über christlichen Antisemitismus, der bis heute auch säkulare Kontexte prägt und beeinflusst (12. September), über islamischen (8. Oktober) und postkolonialen Antisemitismus (28. Oktober) sowie über Antisemitismus im Film (10. November) und Antisemitismus und Geld (21./22. November). Nähere Informationen und Anmeldung unter www.evangelische-akademie.de.
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