Alle reden vom Klimaschutz. Aber der Frankfurter Flughafen wächst weiter.
Flugscham? Von wegen. Am Frankfurter Flughafen war in diesem Sommer in der Spitze von 240.000 Passagieren die Rede – pro Tag! Auch jetzt, in den hessischen Herbstferien, dürften wieder viele den Weg in einen Flieger genommen haben, um die wenige freie Zeit des Jahres mit Sonnengarantie irgendwo weiter im Süden zu verbringen. Nur die ganz Umweltbewussten und die Flugangstgeplagten verweigern sich.
Das viele Fliegen ist nicht nur schädlich fürs Klima, sondern auch ärgerlich für die, die in unmittelbarer Nähe zum Flughafen leben oder in dessen Ein- und Ausflugschneise. Vor allem die südlichen Frankfurter Stadtteile Niederrad, Oberrad, Sachsenhausen sind betroffen, sowie große Teile von Offenbach: Kaiserlei, Nordend, Innenstadt, Tempelsee, Rumpenheim. Zunehmend trifft es auch den Frankfurter Nordosten. Bei Hochdruckwetter gibt der Tower diese Richtung vor und die Boeings sind auch im Riederwald zum Greifen nah.
Schon lange kämpfen Betroffene gegen das ständige Wachsen des Flughafens. Das Bündnis der Bürgerinitiativen gegen Fluglärm umfasse derzeit rund 80 Gruppierungen, sagt Ingrid Wagner von der Bürgerinitiative Luftverkehr Offenbach (BIL), die schon seit über 30 Jahren aktiv ist. Doch die Proteste werden leiser, beklagt Wagner, es häng viel an Einzelnen, die sich engagieren. In der evangelischen Kirche habe sich zum Beispiel die frühere Offenbacher Dekanin Eva Reiß stark für das Thema eingesetzt, seit ihrem Weggang sei es „ruhiger geworden in den Gemeinden“, sagt Wagner.
Mit den Protesten von Schülerinnen und Schüler bei „Fridays for Future“ gibt es aber auch neuen Rückenwind für das Anliegen. Das freut Aktive wie Karin Kuck, die Vorsitzende des Kirchenvorstands der Paul-Gerhardt-Gemeinde Niederrad. Sie und Ingrid Wagner kennen sich schon lange. An der Außenfassade des Gemeindezentrums an der Gerauer Straße positioniert ein Banner die Haltung der Gemeinde klar und deutlich: „Die Schöpfung bewahren. Dem Flughafen Grenzen setzten“ steht darauf.
Karin Kuck war schon in den 1980er Jahren bei den Protesten zur Startbahn West aktiv. Wilde Zeiten seien das gewesen, sagt sie. Auch viele Pfarrerinnen und Pfarrer kämpften damals an vorderster Front im Flughafenprotest, hielten zum Beispiel Gottesdienste im Hüttendorf ab. Bei den neuen Auseinandersetzungen um die Jahrtausendwende versuchte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hingegen einen moderierenden Weg. „Mit einer schriftlichen Arbeitshilfe für Kirchengemeinden, Dekanate und kirchliche Einrichtungen wollte die EKHN 1998 vermeiden, dass es wieder zur Konfrontation kommt“, sagt Kuck. „Die Bilder aus den 80er waren noch präsent.“
Um diesen Zeitpunkt räumte der damalige Lufthansa-Chef Jürgen Weber allerdings neue Ausbaupläne ein. Die schlechten Erfahrungen mit konsensorientierten Mediationsverfahren haben Karin Kuck skeptisch gemacht: „Man weiß nie, ob da schon wieder neue Pläne in den Schubladen liegen. Bereits geschaffene Tatsachen werden zu immer neuen Ausbauplänen und deren Legitimationen missbraucht.“ Letztendlich werde immer wirtschaftsorientiert entschieden.
Hauptargument für einen weiteren Ausbau sind: Arbeitsplätze. Auch in der Paul-Gerhardt-Gemeinde leben viele Menschen, die ihren Lebensunterhalt am Flughafen verdienen. Einmütig ist der Protest deshalb nicht. Gemeindepfarrerin Anja Bode wünscht sich eine Neubelebung der Debatte. „Der Protest geht in der Hauptsache von den Alteingesessenen in Niederrad aus. Aber trotz seiner Lage erfreut sich der Stadtteil großer Beliebtheit, viele Familien ziehen zu. Für sie gehört der Fluglärm dann einfach dazu.“
Es gebe aber Situationen, in denen der Fluglärm seinen Tribut zollt. Bei einer Beerdigung zum Beispiel. „Ruhe in Frieden klingt fast ironisch, wenn alle zwei Minuten eine Maschine über die Trauergemeinde donnert.“ Die Pfarrerin muss dann mitten in der Ansprache eine Pause einlegen. „Niemand der Anwesenden würde ein Wort verstehen.“ Bode ist für eine positive Stoßrichtung in Sachen Flughafen-Problematik. „Wir sollten Projekte zur Aufforstung anstoßen.“ Sie unterstützt die Idee einer Wachstumsbegrenzung, einen Kampf gegen bereits geschaffene Tatsachen hält sie jedoch für einen aussichtslosen Kampf gegen Windmühlen.
Karin Kuck hingegen wünscht sich eine breite Postwachstumsdebatte. Das von den Flughafenbetreibern ausgegebene Motto „Wachsen oder Weichen“ hält sie für einen Affront. Gebraucht werden ihrer Ansicht nach Dialogforen, die friedliche und zukunftsorientierte Lösungsstrategien aushandeln.
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