Politik & Welt

Afghanistan: Empathie in Politik übersetzen

Nach dem Abzug des Westens dürfen wir die Menschen aus Afghanistan nicht vergessen – auch wenn praktische Hilfe derzeit schwierig ist.

Tausende Menschen wollten wegen der Machtübernahme der Taliban vom Kabuler Flughafen aus fliehen. Nur wenigen ist es gelungen.
Tausende Menschen wollten wegen der Machtübernahme der Taliban vom Kabuler Flughafen aus fliehen. Nur wenigen ist es gelungen.

Die Bilder aus Kabul werden wir so schnell nicht mehr aus den Köpfen bekommen. Pure Verzweiflung brachte zigtausende Menschen an den Flughafen der afghanischen Hauptstadt. Doch für die meisten gab und gibt es kein Entrinnen aus dem Grauen, das eine Taliban-Regierung für sie bereithält.

Diese Katastrophe haben die USA und ihre Verbündeten, nicht zuletzt Deutschland, billigend in Kauf genommen. Der Rückzug ihrer Truppen, der die Menschen in Afghanistan zurücklässt in vollem Bewusstsein dessen, was kommt, straft die westlichen Versprechen von Freiheit und Demokratie Lügen. Seit der Entmachtung der Taliban 2001 hatten insbesondere Frauen wieder eine Reihe von Rechten errungen. Mädchen und Frauen konnten Schulen und Universitäten besuchen, Berufe ergreifen, Unternehmen gründen, künstlerisch und journalistisch tätig sein. Künftig wird ihnen all das wohl wieder verboten sein.

Gibt es irgendetwas, das wir tun können, als Menschen, als Weltbürger:innen, als Christinnen und Christen? Ja! Wir können die Empathie, die die meisten von uns vor den Bildschirmen spüren, in Politik übersetzen, dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen.

Auch wenn das schwer werden wird. Praktische Hilfe ist kaum zu leisten. Während die Syrerinnen und Syrer, die vor sechs, sieben Jahren um ihr Leben fürchteten, 2015 offene Grenzen bis nach Deutschland überqueren konnten, werden die afghanischen Schutzsuchenden 2021 kaum aus ihrem Land herauskommen.

Niemals dürfen wir Sätzen applaudieren wie dem, dass sich „2015 nicht wiederholen“ dürfe. Dass man den hypothetischen Flüchtlingen, die vermutlich gar nicht kommen können, bloß nicht mit Empathie begegnen dürfe. Ja, was ist das eigentlich genau, das sich keinesfalls wiederholen darf? Die humanitäre Anstrengung einer Bundesregierung, Menschen zu helfen, die aus Todesangst ihre Heimat verlassen haben? Die zumindest für ein paar Wochen mehrheitlich positive Reaktion der Gesellschaft darauf, die spürbare Solidarität? Es wäre ganz wunderbar, wenn sich „2015“ wiederholen würde! Wenn die verzweifelten Afghaninnen und Afghanen vom Kabuler Flughafen in einem Zug am Frankfurter Hauptbahnhof einrollen würden, und wir, weil wir dazugelernt haben, sogar alles noch besser machen könnten als damals.

Politisch bleibt, ein absolutes Abschiebeverbot nach Afghanistan beizubehalten und womöglich die Suche nach sicheren Fluchtwegen zu unterstützen. Wir dürfen als Christinnen und Christen nicht verdrängen, was am Hindukusch passiert. Kirchengemeinden, Beratungsstellen und die Diakonie engagieren sich hier auf vielfältige Weise und stehen auch jetzt für Akuthilfe zur Verfügung.


Wer selbst etwas tun möchte, kann die Petition von seaeye_org für sichere Fluchtwege aus Afghanistan unterschreiben (Link)

Eine weitere Möglichkeit ist, an den afghanischen Frauenverein spenden, der Soforthilfe vor Ort leistet (Link)

Eine weitere Möglichkeit ist, an den oder die Abgeordnete*n des eigenen Wahlkreises eine Email mit einem Appell für sichere Fluchtwege zu schreiben (Link)


Weiterlesen:

Das Glück zweier Brüder aus Afghanistan

Afghanistan: Gerührtsein ist keine Lösung

Flüchtlingen beim Ankommenhelfen: Das Mentoring-Programm Socius der evangelischen Kirche

Jeder Mensch hat ein Recht auf Familie: Interview mit Flüchtlingsberaterin Barbara Lueken


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Anne Lemhöfer 145 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de

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