Abschiebungen am Frankfurter Flughafen: „Manchmal bete ich mit den Frauen“
Melisa Ergül-Puopolo kennt keine normalen Arbeitszeiten. Manchmal fährt die 41 Jahre alte Juristin mitten in der Nacht zum Frankfurter Flughafen. Die Charterflüge für Sammel-Abschiebungen von abgelehnten Asylsuchenden starten nämlich bereits morgens um fünf Uhr – und es werden immer mehr.
Als bei der Kirche angestellte Abschiebungsbeobachterin dürfen sie und ihre katholische Kollegin dabei sein, wenn Geflüchtete Deutschland verlassen müssen. Eingreifen nicht. Sie können nur zuschauen: Ob humanitäre Prinzipien eingehalten werden und ob die von der Polizei eingesetzten Mittel der Situation angemessen sind.
Das kleine Büro liegt im Obergeschoss der Abflughalle am Terminal 1. „Wir haben keine Akten und auch keine Akteneinsicht, ich beobachte wirklich nur“, sagt Ergül-Puopolo. Von ihrem Büro bis zur Zentralen Rückführstelle der Bundespolizei am Terminal 2 ist sie eine gute Stunde unterwegs. Der abgeschirmte Gebäudeteil der Bundespolizei ist nicht öffentlich zugänglich.
Die Abschiebebeobachterinnen sollen Transparenz in einen sonst nicht kontrollierten Bereich staatlichen Handelns bringen. Grundlage dafür ist eine Rahmenvereinbarung zwischen den kirchlichen Trägern und der Bundespolizei – die Abschiebungsbeobachtung existiert seit Mai 2006.
Melisa Ergül-Puopolo erlebt mit, wie Geflüchtete ohnmächtig werden, hört ihr Schreien, Weinen und Flehen, spürt die Todesangst von politisch Verfolgten vor der Abschiebung in ihr Herkunftsland. „Manche sind stundenlang im Polizeiwagen zum Frankfurter Flughafen unterwegs, aber niemand sagt ihnen, wohin sie eigentlich gebracht werden. Dabei wäre es für einige so wichtig, zu wissen, dass sie nicht nach Kabul, sondern nach Italien geflogen werden.“
Auch wenn sie sich über eine Situation ärgert, reagiert Ergül-Puopolo immer ruhig und sachlich. An der Luftsicherheitskontrolle bei der Bundespolizei beobachtet sie, in welcher Verfassung diejenigen sind, die Deutschland verlassen müssen: „Viele junge Männer sind relativ ruhig. Ich schaue eher nach Menschen mit psychischen Krankheiten oder Familien mit kleinen Kindern. Wenn jemand reingetragen wird, schreit oder gefesselt werden musste, gehe ich sofort mit.“
Mehr als 6700 Menschen wurden im Jahr 2017 vom Frankfurter Flughafen aus abgeschoben, nach Italien, aber auch nach Georgien, Nordafrika, Nigeria, Gambia und Afghanistan. Rund 400 Abschiebungen vom Frankfurter Flughafen wurden 2017 abgebrochen, 237 wegen des Widerstands der Betroffenen, 124, weil sich der Flugkapitän weigerte, die unfreiwilligen Passagiere mitzunehmen.
Bei etwa 500 waren die Beobachterinnen dabei. Sie dokumentieren die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel und gegebenenfalls die Verletzung humanitärer Prinzipien. 2017 dokumentierten sie zwar keine Verstöße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, aber in vielen Fällen sahen sie die psychische Unversehrtheit der Menschen als gefährdet an. Aus ihrer Sicht wäre es notwendig, dass die Bundespolizei grundlegende Informationen zu den Personen erhalten, die abgeschoben werden.
Bei der Bundespolizei am Terminal 2 hat Ergül-Puopolo keinen eigenen Raum, sie ist hier nur zu Gast, bei Gesprächen ist immer ein Beamter dabei. Für Windeln, Damenbinden, etwas Kleidung oder ein wenig Handgeld, das sie für die Ausreisepflichtigen bereithält, gibt es einen Schrank. Oft werden die Menschen nachts oder in den frühen Morgenstunden von der Polizei abgeholt und können nur das Allernötigste packen. Viele kommen völlig mittellos am Flughafen an.
Meist wird den Betroffenen erst nach und nach klar, dass die Frau mit den dunklen lockigen Haaren nicht von der Bundespolizei ist, sondern von der Kirche. Ergül-Puopolo kann neben Deutsch auch Türkisch, Englisch und Italienisch, die Sprachkenntnisse sind wertvoll, denn nur selten sind Dolmetscher oder Dolmetscherinnen da.
Bei einer Türkisch sprechenden Familie aus Aserbeidschan konnte die Abschiebungsbeobachterin die Situation zum Guten wenden: „Die Mutter kollabierte an der Maschine, als sie erfuhr, dass sie abgeschoben werden sollen, die drei Kinder waren total verängstigt. Der Vater erklärte mir, dass sie bereit wären, auszureisen. Ergül-Puopolo erklärte dies der Bundespolizei und erreichte, dass die Familie zu einem späteren Zeitpunkt ausreisen konnte – freiwillig und mit finanzieller Unterstützung aus dem Projekt „Starthilfe“. „Inzwischen habe ich Nachricht aus Baku, dass sie sich mit dem Geld ein Taxi kaufen konnten und dass es ihnen gut geht.“
Die meisten Schicksale haben aber kein Happy End. Afrikanerinnen, die im Zuge der Dublin-III-Verordnung in ihr Erstaufnahmeland Italien zurückfliegen müssen, erzählen der Anwältin unter Tränen, dass sie sich dort prostituieren müssen. Für eine schwangere junge Frau aus Somalia, die ohne ihren Partner nach Sizilien zurückmusste, stellte Ergül-Puopolo einen Kontakt nach Catania her und vermittelte immerhin, dass jemand die junge Frau am Flughafen abholte.
Als im Dezember 2016 die erste Afghanistan-Sammelabschiebung stattfand, hatte Ergül-Puopolo über 300 Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon. Zum Beispiel von der Mutter von Samir Narang. Der junge Hindu war bereits in den Räumen der Bundespolizei und sollte nach Kabul geflogen werden, obwohl seine übrige Familie Aufenthaltsrecht in Deutschland hatte. Immer wieder rief die verzweifelte Mutter an, weil sie ihren Sohn wenigstens noch einmal in die Arme nehmen wollte. „Mutter und Schwester wurden schließlich zum Terminal 2 gebracht und konnten sich verabschieden. Das hatte es zuvor noch nie gegeben“, sagt Ergül-Puopolo. In solchen Dingen kommt es darauf an, wie die jeweiligen Bundesbeamten ihren Ermessensspielraum auslegen.
Bundesweit gibt es sechs Abschiebungsbeobachter*innen, neben Frankfurt auch an den Flughafen Köln-Düsseldorf, Hamburg und Berlin. In Hessen gibt es außerdem ein Forum Abschiebungsbeobachtung am Flughafen Frankfurt (FAFF), wo Kirchen, Bundespolizei, Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen zusammenwirken, um die Lage der Betroffenen zu verbessern. Dort berichten auch Melisa Ergül-Puopolo und ihre katholische Kollegin.
Um zu verarbeiten, was sie erlebt, geht sie manchmal in die Flughafen-Kapelle, um zu beten.
0 Kommentare
Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.