Einsatz für ein liberales Islamverständnis
Als Seyran Ateş 2017 in Berlin eine liberale Moschee gründete, waren viele erstaunt, stand sie doch im Ruf, eine konsequente Kritikerin des Islam zu sein. Warum sie sich nicht von ihrer Religion abgewendet hat, sondern für Reformen kämpft, erzählte Ateş am vergangenen Samstag, 26. Oktober, im Gespräch mit Pfarrer Burkhard Weitz und der türkisch-deutschen Pianistin Serra Tavsanlı in der Offenbacher Friedenskirche.
Den ersten Anstoß hätten ihr die Mandantinnen gegeben, die sie als Anwältin in Scheidungsprozessen vertreten hat. Viele von ihnen hätten sich nach der gerichtlichen auch eine religiöse Auflösung der Ehe gewünscht. Dadurch habe sie angefangen, sich genauer mit dem Islam zu beschäftigen und gemerkt, dass sie wenig weiß. „Unsere Eltern und Großeltern haben uns unsere Religion nicht wirklich erklärt.“
Ein zweiter Anstoß sei die Deutsche Islamkonferenz gewesen, die 2006 von der Bundesregierung zum Dialog zwischen Muslimen und Staat ins Leben gerufen wurde und in der sie einige Jahre lang Mitglied war. Dort habe sie erlebt, wie konservative Islamverbände die Deutungshoheit über das, was muslimisch sei, an sich gerissen hätten. „Es herrschte dort eine unerträglich patriarchale Islamauslegung vor“, so Ateş, „aber auch viele Deutsche wollten mir meine Religion erklären, wenn sie zum Beispiel fragten, warum ich kein Kopftuch trage.“
Sie sei schon immer eine spirituelle Person gewesen, halte sich gerne in Kirchen auf, unternehme Pilgerreisen, aber in den traditionellen Moscheen sei ihr das nicht möglich. Die Gründung einer eigenen Moschee sei deshalb ein naheliegender Schritt gewesen: Mit liberalem Religionsverständnis, historisch-kritischer Herangehensweise an den Koran, Offenheit für LGBTQ-Personen, Gleichstellung von Frauen und ohne Kopftuchzwang. „Ich habe mir da die anderen abrahamitischen Religionen Judentum und Christentum als Vorbild genommen.“
Ateş beobachtet ein steigendes Interesse von Muslim:innen an einem liberalen Islamverständnis. Ein Problem sei dabei aber die Gewalt, die solchen Projekten von gewaltbereiten Islamisten drohe. Viele Menschen hätten Angst davor, sich öffentlich zu positionieren. Ateş selbst ist schon seit Jahren nur mit Personenschutz unterwegs. Auch in der Friedenskirche waren ihre „Schutzengel“, wie sie die Beamt:innen nennt, mit dabei.
Das Gespräch wurde begleitet von einem Klavierkonzert der Pianistin Serra Tavsanlı, die Werke von Bach, Schostakowitsch und Mendelssohn-Bartholdi spielte. Am Sonntag predigte Ateş dann auch im Gottesdienst der Friedenskirchengemeinde.
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