„Die Stadtkirche ist offen für alle“
„Ob evangelisch, katholisch, jüdisch, muslimisch oder konfessionslos: Unsere Stadtkirchenarbeit richtet sich an Menschen jeder Couleur – an alle, die hier leben oder unterwegs sind, ganz gleich welchen Glaubens“, sagt Manuela Baumgart. Die 59-Jährige leitet seit Anfang des Jahres die Stadtkirchenarbeit in Offenbach. Sie interessiert sich dafür, welche Sehnsüchte und Wünsche die Offenbacherinnen und Offenbacher haben, was sie beschäftigt und was sie in die Kirche zieht. Daran will die ehemalige Werberin ihre Arbeit orientieren. Schließlich sind in Offenbach nur noch 12 Prozent der Einwohnerschaft evangelisch.
Die Offenheit bedeutet für sie aber nicht, kein evangelisches Profil zu zeigen, sagt sie, im Gegenteil: „Die christliche Botschaft ist ewig neu, die protestantische noch immer befreiend und lebensbejahend. Wir müssen sie nur mit modernen Mitteln transportieren.“ Für niedrigschwellige Lebensberatung in der Kirche will sie regelmäßig in der Offenbacher Stadtkirche zur Verfügung stehen, wenn dies gewünscht und gebraucht wird.
Manuela Baumgart hatte das laufende Jahr bereits geplant und wollte gerade richtig loslegen, als Corona alle Pläne erstmal lahmlegte. Aber in ihrer Kreativität ließ sie sich dadurch nicht bremsen. In der Zeit der Kontaktsperren hat sie „Gratis-Ermutigungen“ in Form von Bibelversen auf Postkarten zum Mitnehmen an die Kirchentür gehängt und dort auch Mittagsgebete „to go“ bereitgestellt. Sie hat ein Video gedreht, das zeigt, wie Menschen verschiedenen Alters sich an der Kirchentür bedienen; es steht auf den Seiten der Stadt Offenbach und wurde Ende Mai mehrmals täglich im offenen Kanal RheinMain gezeigt. „Daraufhin wurde unsere Aktion noch bekannter“, erzählt Baumgart. „Wir mussten laufend neue Karten aufhängen und Texte bereitstellen. Die Menschen freuten sich über die Ermutigungen.“
Für ihre neue Arbeit bringt Baumgart eine Reihe an Erfahrungen und Talenten mit. Sie ist promovierte Germanistin und hat viele Jahre als Texterin, Konzeptionierin und Kreativdirektorin in Frankfurter Werbeagenturen gearbeitet. In der Industrie war sie als PR-Managerin für die Öffentlichkeitsarbeit für internationale Unternehmen tätig. Theologie hat sie auch studiert, zwar ohne Abschluss, wegen der Sprachen, wie sie sagt, „aber mit großem Interesse“. Außerdem ist sie seit ihrem 16. Lebensjahr in der Gemeindearbeit engagiert, wo sie von der Gemeindebriefredaktion bis zum „Kirche mal anders“- Gottesdienst für Kirchenferne schon sehr viel Verschiedenes gemacht hat.
In ihrer Heimatgemeinde in der Nähe von Obertshausen, wo sie mit ihrem Mann lebt, leitet sie weiterhin einen Bibelkreis. Als ausgebildete Trainerin und Coach für den achtsamen Umgang mit Sprache gibt sie auch Kurse an Volkshochschulen und begleitet schon seit Jahren Führungskräfte im Pflegesektor.
Und jetzt entwickelt sie Ideen für die Stadtkirche in der Offenbacher City. Zum Beispiel könnte man sich im Sommer dort ein Glas Wasser holen und dabei ein „Impuls-Kärtchen“ mitnehmen, auf dem ein Bibelvers und eine Frage steht, etwa: „Und was erfrischt Ihre Seele?“
„Auf der Basis des Evangeliums möchte ich mit meinem Team von Ehrenamtlichen, das die Kirchenöffnung sicherstellt, mit Menschen ins Gespräch kommen“, sagt Baumgart. „Begegnungen, die wohltun und nachhaltig sind, das ist unser Anliegen.“ Sicher kommen dann auch Menschen vorbei, die nach langer Zeit wieder in Kontakt mit der Kirche treten. „Ich hoffe, dass sie durch Zuhören und kluges Fragen selbst die für sich passenden Antworten finden können.“ Geplant sind auch After-Work-Gottesdienste einmal im Monat um 18.30 Uhr: Halbstündige Andachten, eventuell mit kompetenten Gastreferent*innen, die Themen wie Work-Life-Balance oder Selbstvorsorge aufgreifen, die Berufstätige interessieren. Organistin Rozana Weidmann wird die Andachten auf dem Flügel begleiten.
Mit Bibliologen will Baumgart außerdem die Bibel zu neuem Leben erwecken: Dabei lesen Teilnehmende gemeinsam einen Bibel-Text und stellen sich dann vor, in die Rollen der Hauptakteure zu schlüpfen und ihnen ihre Stimme zu leihen, etwa: Wie fühlt sich Maria zu Füßen Jesu, während ihre Schwester für sein leibliches Wohl sorgt? Warum ist Martha so sauer auf die andere? Und was denkt Jesus zu alldem? „So wird die Bibel lebendig und man vergisst auch nicht so schnell, was man gelesen hat. Es wird persönlich und relevant.“
Als ehemalige Kreativdirektorin erkennt Baumgart nicht zuletzt das Potenzial der Stadtkirche als Ort der Kunst. Sie möchte mit Studierenden der Hochschule für Gestaltung in Offenbach Mitmach-Aktionen starten und etwa auch mit dem Klingspor-Museum zusammen Kalligraphie-Workshops anbieten. Auch hier ist der Schlüssel ihrer Arbeit: „Nicht für die Menschen, sondern mit ihnen“, wie sie sagt. Lesungen mit Autorinnen und Autoren aus der Region sind ebenfalls angedacht. Und in kommenden Wochen möchte Baumgart zusammen mit Organistin Weidmann „Sommerabendmusiken“, bei offener Kirchentür initiieren, begleitet von einem geistlichen Impuls.
Mitte September beginnen die Interkulturellen Wochen in Offenbach, an denen sich auch dieses Jahr voraussichtlich wieder über fünfzig Initiativen in der ganzen Stadt beteiligen wollen. Baumgart will aus aktuellem Anlass gemeinsam mit Susanna Faust Kallenberg, Pfarrerin für Interreligiösen Dialog beim Stadtdekanat Frankfurt-Offenbach, ein Projekt unter dem Arbeitstitel „Medizin – ein Geschenk Gottes? Die Wechselwirkungen von Religion und Medizin“ anbieten. Es soll ein virtueller Rundgang durch die Ausstellung „Der Medicus“ zu sehen sein. Diese wird zurzeit im Historischen Museum der Pfalz in Speyer gezeigt und soll abgefilmt werden soll. Außerdem sollen Podiumsdiskussionen mit Vertretern und Vertreterinnen der drei großen Religionen stattfinden. Thema soll unter anderem die kultursensible Pflege sein, also eine Pflege, die auf kulturelle und religiöse Prägungen und Bedürfnisse Rücksicht nimmt. „Das wird gerade in Offenbach, wo viele verschiedene Nationen und Religionen leben, immer wichtiger“, sagt Baumgart. Ihr nachhaltiges Ziel ist, Menschen für das ehrenamtliche oder auch berufliche Engagement in diesem Bereich zu begeistern.
Insgesamt will Baumgart also theologisch-verkündigend, kreativ-künstlerisch und gesellschaftspolitisch Akzente setzen, die in die Stadt ausstrahlen und „positive Akzente im Miteinander setzen“. Sie ist überzeugt: „Worte haben Kraft und im Reden kommen Menschen zueinander, so dass Vorurteile abgebaut werden und ein tieferes Verständnis für den jeweils anderen wachsen kann.“
Schon bald soll ein Banner vor der Stadtkirche hängen, auf dem entweder „Hoffnungsort“ oder “ Hoffnungstankstelle“ steht. „Die Kirche soll ein Ort sein, wo Menschen Kraft und Hoffnung schöpfen können“, sagt Baumgart. „Eine Hoffnung, die über uns und unsere begrenzten Möglichkeiten hinausweist und deshalb Mut macht. Diese Zuversicht kann die Stadt brauchen, gerade in Zeiten wie diesen.“
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