Debatten zum wöchentlichen Predigttext per WhatsApp-Gruppe
Wer sich mit einem Thema schon vor dem Meeting, dem Vortrag beschäftigt hat, versteht mehr, nimmt mehr mit nach Hause. Und kann selber aktiv mitwirken. Was im Berufsleben gang und gäbe ist, erleben auch die Mitglieder eines Whats App-Chats, den Henriette Crüwell zum Thema Predigttext eröffnet hat.
Vor einem Jahr hatte die Pfarrerin der Offenbacher Friedenskirchengemeinde damit begonnen, jeweils zu Beginn der Woche den Bibeltext für die Predigt des nächsten Sonntags in einen Whats App-Chat zu stellen. „Angefangen hatte ich das mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, denen ich versprochen habe: Wer mitmacht, wird seine Gedanken zu dieser Bibelstelle in der Predigt wieder finden“, erzählt Crüwell. Die Jugendlichen beteiligten sich und waren stolz, wenn sie in der sonntäglichen Predigt auch ihre Diskussionsbeiträge heraushörten.
Dann wollte Crüwell auch andere Gemeindemitglieder ansprechen: „Menschen, die keine Zeit für einen Bibelkreis haben, die vielleicht nicht regelmäßig in die Kirche gehen“, so die Pfarrerin. Sie stellte ihre Idee vor, schaltete kleine Anzeigen im Gemeindeblatt. „Ich freue mich auf Ihre Gedanken und Fragen“, stand da. Und eine Mobilnummmer. Die Gruppe ist bislang noch klein - derzeit hat sie 17 Mitglieder. Manche bringen sich jede Woche aktiv ein, andere folgen eher passiv. Mal stellt Crüwell gleich zu Beginn ein paar Impulsfragen, mal wartet sie ab.
„Ich bin ehrlicherweise kein regelmäßiger Kirchgänger, kenne die meisten Mitglieder des Chats nicht“, erzählt Marc Werner, Rechtsanwalt in Frankfurt. „Aber der Chat bringt mir viel: Ich lerne den Predigttext kennen und denke die ganze Woche hindurch immer mal wieder darüber nach.“ Werner ist viel unterwegs, schaut in den Chat, wenn er in der Bahn sitzt oder am Flughafen auf seinen Flieger wartet. Er selbst schreibe gar nicht viel hinein, aber die Beiträge der anderen regten zum Nachdenken an: „Dadurch begleitet mich der Predigttext durch die ganze Woche.“
Die 78-jährige Gisela Schmidt ist von Anfang an in der Chatgruppe: „Viele Bibelstellen, gerade im Alten Testament, sind ja durchaus eine Herausforderung“, sagt sie. „Und sich alleine zu Hause mit dem Predigttext auseinandersetzen – das macht man ja doch nicht.“ Der Chat öffne die Augen für andere Sichtweisen und mache neugierig auf die Predigt, so die lebhafte Rentnerin. „Und man versteht die Predigt dann auch viel besser.“
Sie überlege durchaus, was sie hineinschreibe, „aber es muss nicht immer was Gescheites sein – man kann auch einfach nachfragen. Und nimmt immer etwas Neues mit in den Alltag.“ Schweife die Diskussion zu weit ab, schalte sich die Pfarrerin meist wieder ein, „damit wir wieder die Kurve zum Text kriegen“, so Gisela Schmidt.
Henriette Crüwell überlegt derweil, noch mehr Menschen für den Chat zu werben. Denn auch sie profitiert davon: „Je mehr Leute aktiv teilnehmen, desto besser weiß ich, was sie beschäftigt. Und kann darauf in meiner Predigt reagieren.“
Manchmal läuft die Diskussion schleppend, manchmal munter, manch ein Teilnehmer postet nur einen erhobenen Daumen oder ein Smiley, andere längere Überlegungen. Viele Teilnehmerinnen des Chats kennen einander gar nicht. Doch die Anonymität schade nicht, so Henriette Crüwell. Der Chat sei bewusst als niedrigschwelliges Angebot gedacht. Hinauswerfen musste sie noch niemanden.
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