Weihnachten „zuhause“ – von der tiefen, unerfüllbaren Sehnsucht nach Heimat
„Ich fahre über Weihnachten nach Hause.“ Eine unscheinbare Formulierung. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, ist doch in der Sache eigentlich gemeint „Ich besuche meine Eltern“ oder „Ich fahre dorthin, wo ich aufgewachsen bin.“ Dennoch verwenden die meisten Menschen die emotionaleren Ausdrücke „nach Hause“ oder „in die Heimat“. Erstaunlich, denn mit 20, 30, 40 oder 50 Jahren haben sich die meisten längst eine neue Identität und ein neues Zuhause aufgebaut.
Das Bedürfnis nach Heimat ist so menschlich wie religiös.
Wir sehnen uns nach festen Identitätsmarkern und Sicherheiten, die inmitten aller Veränderungen konstant bleiben. In vielen biblischen Erzählungen findet sich allerdings eine gewisse Skepsis gegenüber der zu starken Betonung einer fest verankerten „Heimat“. Von Mose, dem es nicht vergönnt ist, seinen Fuß in das verheißene Land zu setzen, bis zu Jesus, der von seiner Familie für verrückt erklärt wird und als Wanderprediger umherzieht: Ihre „Heimat“ ist im Grunde genommen „on the road“.
Religion bricht die Sehnsucht nach Heimat auf und vertieft sie gleichzeitig. Das Verlangen nach einem Zuhause gehört genauso dazu wie das Wissen, dass es sie in dieser Welt nie abschließend geben kann. Wie es im Neuen Testament heißt: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Religion unterscheidet gerade zwischen Immanenz und Transzendenz, Diesseits und Jenseits. Die Frage nach Heimat erfährt dadurch eine grundsätzliche Verschiebung und Vertiefung.
Dies scheint auch in der Tradition auf, über Weihnachten „nach Hause“ zu fahren. Denn es ist klar, dass es sich dabei um die Wiederinszenierung einer eigentlich verlorenen Realität handelt. Zumindest einmal im Jahr soll Heimat mit der Herkunftsfamilie erlebt werden, auch wenn die Welt an allen anderen Tagen anders aussieht.
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