Leben & Alltag

Sie kommen nur mit einem Koffer: Wo Frauen in Not eine Bleibe finden

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In Frankfurt haben Frauen mit Brüchen in ihrer Biografie fast keine Chancen, eine Wohnung zu finden. Im Haus Lilith der Diakonie können sie für einige Zeit unterkommen. Von Carina Dobra.

Der große, dunkle Koffer steht noch vor dem schmalen Bett mit dem sommerlichen Blumenbezug. Auf dem Nachttisch nur das Nötigste: Ein Glas Wasser und eine Packung Tabletten. So richtig angekommen ist Wanda Stefanowicz noch nicht. Erst vor drei Tagen kam die 55-Jährige hierher ins Haus Lilith. Hinter der Witwe liegen schwere Wochen. „Ich hatte Pech“, sagt die zierliche Frau. Die gebürtige Polin pflegte einen alten Mann, später eine alte Dame und wohnte für diese Zeit in deren Wohnung. Als die Senioren starben, setzten die Angehörigen sie auf die Straße.

Andere der insgesamt 28 Frauen in dem Übergangswohnheim der Diakonie Frankfurt leben schon deutlich länger hier mitten im Ostend. Sämtliche Plätze sind belegt, die Bewerberinnenliste ist lang, erzählt Leiterin Mehri Farzan. Die Frauen leben auf insgesamt vier Etagen. Pro Stockwerk teilen sich sieben Bewohnerinnen eine Küche und ein Bad mit Dusche und Toilette. Jedes der etwa zwölf Quadratmeter großen möblierten Einzelzimmer verfügt über ein Waschbecken.

„Auch hier kann man es sich gemütlich machen“, sagt Binnur Sogukcesme und zeigt stolz auf die vielen Bilder und Postkarten über ihrem Schreibtisch. „Hinfallen, Krönchen richten, weitermachen!“ steht in rosa Schrift auf einer der Karten. Die 50-Jährige ist seit fast zwei Jahren im Haus Lilith. Heute hat sie ihren Laptop eingeschaltet und sucht im Internet nach Küchen: Seit Mitte Juli hat sie einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma, Ende August zog sie in ihre eigenen vier Wände.

Der Weg dorthin war steinig. Für einen Auslandsaufenthalt in der Türkei hatte Sogukcesme Frankfurt für zwei Jahre verlassen. Bei ihrer Rückkehr im November 2016 stand sie dann ohne Job und ohne Wohnung da. „Das ist ein Teufelskreis“, wie sie im Nachhinein feststellen musste. „Wer keine Arbeitsstelle hat, findet keine Wohnung und ist nicht mehr gesellschaftsfähig“, sagt die gelernte Rechtsanwaltgehilfin. Mit der Familie hatte sie den Kontakt abgebrochen, erst heute – nach dem Tod ihrer Mutter – besucht sie ihren Vater wieder regelmäßig.

Bei vielen Frauen sei es Schicksal, dass sie kein Dach über dem Kopf haben, sagt die Leiterin Farzan. Viele der Bewohnerinnen im Haus Lilith hatten nie ein funktionierendes Familienleben. Einige haben Gewalt erlebt. Die meisten seien außerdem verschuldet. „Bei Frauen ist Wohnungslosigkeit verdeckter als bei Männern“, erklärt Farzan. „Sie leben lieber unglücklich mit einem Partner zusammen, als auf der Straße zu schlafen.“ Aus Scham würden sie oft niemandem erzählen, dass sie in einem Übergangswohnheim leben.

Zumal diese Information bei Vermietern nicht gut ankommt. Spätestens, wenn die Bescheinigung vom Vormieter vorgelegt werden soll, sehe es für die Frauen schlecht aus. Das Haus ist zwar nicht nur für akute Notfälle da, ewig sollen die Frauen hier aber auch nicht leben. „Wir wollen sie wieder fit machen, um auf eigenen Beinen zu stehen“, so Farzan. Die Sozialarbeiterinnen arbeiten dafür eng mit Jugend- und Sozialämtern sowie Jobcentern zusammen.

Die meisten Bewohnerinnen im Haus Lilith seien unter 30 Jahre alt, erklärt Farzan – und die Bewerberinnen für freie Plätze würden immer jünger. „Meine Vermutung ist, dass es den familiären Halt nicht mehr so gibt“, sagt Farzan. Der Einzug in das Wohnheim ist prinzipiell für alle volljährigen Frauen möglich; die Unterbringung erfolgt über das Sozialamt. Gemessen an dem Geld, das den Frauen durch Sozialhilfe oder einen Job monatlich zur Verfügung steht, zahlen sie einen individuellen Eigenbeitrag.

Zu bestimmten Zeiten ist auch Männerbesuch erlaubt. Ansonsten leben die Frauen unter sich. Hier und da gibt es auch mal Konflikte. „Es kann bei uns schon lauter werden“, berichtet Binnur Sogukcesme. Streit gibt es zum Beispiel, wenn sich eine Mitbewohnerin nicht an den Putzplan hält. „Wir leben ja hier gezwungenermaßen in einer WG“, stellt sie fest.

Das ist nichts für die Ewigkeit, findet auch Wanda Stefanowicz. Ab morgen will sie sich um einen neuen Job kümmern. Sie möchte weiterhin als Pflegerin arbeiten, allerdings nicht mehr bei den Patienten zu Hause wohnen. In ihrem Zimmer im Haus Lilith kann sie nun in Ruhe Bewerbungen schreiben. Nachdenklich zupft sie an ihrer langen, schwarzen Perlenkette und sagt leise: „Das ist Glück.“


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