Neulich auf dem Vierersitz
Ich fahre nicht so gern S-Bahn. Da gibt es nur diese Vierersitze, wo man Wildfremden direkt gegenübersitzt. Die ganze Fahrt über bin ich dann damit beschäftigt, bloß nicht aus Versehen in die Richtung meines Gegenübers zu schauen, damit sich unsere Blicke nicht kreuzen. Das wäre wahnsinnig unangenehm. Außerdem ziehe ich alle Gliedmaßen ein, damit ich bloß niemand anderes berühre. Stelle sich das mal einer vor.
Neulich war wieder so ein Tag. Spätestens am Hauptbahnhof waren die drei anderen Sitze belegt. Das deutsche Abstandsbarometer schlug Alarm, wir zogen uns hinter unsere Handys zurück. Als ich dann doch mal hochschaute, sah ich, dass der ältere Herr schräg gegenüber von mir kein Handy in der Hand hielt, sondern aus dem Fenster schaute und den Sonnenuntergang beobachtete. Auf einmal kam ich mir merkwürdig vor und verspürte den Impuls, die Kopfhörer aufzurollen und das Handy wegzustecken. Der Mann registrierte das, wir kamen ins Gespräch. Er erzählte mir von früher, von seiner Frau, vom Leben einfach. In Rüsselsheim stieg er aus. Wahrscheinlich werden wir uns nie wieder sehen, aber das macht nichts, denn diese Begegnung hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, einfach mal hochzuschauen.
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