Mild im Abgang oder: Wie Corona mich zur Weinkennerin machte.
Über wenig sind sich die Menschen so einig, wie darüber: Wer nicht nur gepflegt Wein trinkt, sondern sich auch gepflegt darüber auslassen kann, was da im Glas schwappt, der oder die hat Kultur. Mild im Abgang, ein Hauch von Brombeere, guter Jahrgang.
Ich habe keine Kultur, ich kenne nur rote Weine und weiße. Manche schmecken mir, manche nicht. Mir ist das peinlich, aber ich kann damit leben.
Doch dann kam die Pandemie. Und ich konnte auf einmal mitreden. Corona hat das Schummeln einfacher gemacht, dank Zoom, Teams und Co. Online lässt sich die Waschmaschine stopfen oder ein Burger verzehren, während man angeblich konzentriert der Chefin zuhört.
Immer öfter treffen sich auch Freundeskreise online. Neulich wurde ich von einer Freundin zu einer Weinprobe am Bildschirm eingeladen. Man bekam also drei Weinflaschen nach Hause geliefert. Einen Chardonnay, einen Weiß- und einen Grauburgunder. Wir prosteten uns fröhlich zu, ließen den Wein zeitgleich kreisen, nahmen einen Schluck.
Was niemand sah: Ich hatte neben meinem Laptop mein Handy als zweiten Bildschirm platziert, googlete Jahrgänge und Rebsorten und war Dauergast auf www.weinkenner.de. „Cassis...“, seufzte ich. „Ein Hauch von Lakritz, findet ihr nicht?“ Doch, fanden alle. „Üppig“ schien mir der eine, „grasig“ der andere.
Trotzdem gut, dass wir nach dem vierten Schluck andere Themen hatten. Die Schlammschlacht der britischen Royals zum Beispiel und die besten Arten, einen Wintermantel überm Schlafanzug zu tragen. Falls man im Homeoffice mal schnell einkaufen gehen muss. Mit beidem kenne ich mich bestens aus – ohne Google.
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