Leben & Alltag

Mach‘s doch selber!

Vom makellosen Glanz des „Do-it-yourself“-Internets sollte sich niemand abschrecken lassen. Bei selbstgebasteltem Weihnachtsschmuck zählt nicht die Perfektion.

Selbstgebasteltes schafft Befriedigung. Dabei kommt es auf Schönheit an, nicht auf Makellosigkeit. | Foto: Angela Wolf
Selbstgebasteltes schafft Befriedigung. Dabei kommt es auf Schönheit an, nicht auf Makellosigkeit. | Foto: Angela Wolf

Wenn die Adventszeit sich ankündigt, lassen sich Menschen mit Kindern (und ohne) in zwei Gruppen einteilen. Die einen kaufen buntes Papier, Kerzen-Rohlinge und noch eine Tube von dem guten Kleber. Sie lassen sich auf Internetseiten wie Pinterest inspirieren, sind glücklich und dekomäßig bestens aufgestellt: Unter ihren Händen entstehen Christbaumkugeln, minimalistische Adventskränze, Krippen aus Ästen.

Bei jenen aber, zu deren Stärken feinmotorische Fähigkeiten nicht unbedingt zählen, steigt der Stress-Pegel, sobald die Temperaturen sinken. Müsste man jetzt nicht mal schön zusammen basteln, bei Kerzenschein und Keksen? Sind Kinder, die nicht bereits im zarten Alter selbstverständlich Origamitechniken lernen, später kognitiv benachteiligt? Aber was, wenn schon wieder nur wind- schiefe Sterne und klebrige Finger dabei herauskommen? Wer braucht denn wirklich all diese Staubfänger? Elf Monate im Jahr: vermutlich niemand. Aber dann. 

Für Johanna Rundel beginnt die Adventszeit allerdings schon im August. Die Seckbacherin ist Kreativ-Bloggerin und empfiehlt in diesem Jahr zum Beispiel das Gestalten von bunten Kerzen, für die es neben etwas buntem Par- affin-Wachs und alten Blechdosen eigentlich nur noch ein paar einfache Kerzen, etwa aus der Drogerie, braucht. Seit mehr als zehn Jahren führt sie den Blog www.johannarundel.de und entwickelt Do-it-yourself-Anleitungen für Zeitschriften, TV-Sendungen, Verlage und Unternehmen, dazu hat die 43-Jährige drei Bücher veröffentlicht.

„Das Wort ‚Basteln’ mag ich zwar überhaupt nicht, aber ja, ich gebe es zu: Ich bin eine Basteltante“, sagt sie. Im Trend lägen derzeit Naturmaterialien, die man gemeinsam im Wald sammeln kann, wie Äste, Moose, Zapfen oder Zweige, dazu Deko in den klassischen Farben Rot, Gold, Weiß und Grün. Auch wenn sie selbst natürlich in der Profiliga spielt, rät Rundel auch etwas unbegabteren Menschen dazu, einfach loszulegen: „Nicht zu viel nachdenken, einen Kakao kochen und sich zusammensetzen, denn darum geht es ja eigentlich“, findet sie: „Das Schönste ist, wenn man den Baum schmückt, und den Teenagerkindern sagen kann: Ach guck mal, das hast du gebastelt, als du fünf warst.“

So sieht das auch Trendscout Claudia Herke, die für die Messe Christmas World in Frankfurt die Produkttrends analysiert. „In Zeiten, in denen die Menschen ihren Halt verlieren, werden Dinge, die einen emotionalen Wert haben, äußerst wichtig. Sie wirken vertraut, heimelig und bedeuten uns etwas.“

Aber warum sitzt dann die Abneigung gegen das Basteln in manchen Menschen so tief? „Ich beobachte große Unterschiede bei den Bastelfähigkeiten im Vergleich zu früher, sowohl in meinen Kindergruppen in der Gemeinde als auch in der Schule“, berichtet die Seckbacher Pädagogin und Schulleiterin Andrea Haase. Die feinmotorischen Fähigkeiten seien im Schnitt deutlich schlechter als früher, einige Kinder seien auch in der vierten Klasse noch nicht in der Lage, eine Vorlage mit der Schere sauber auszuschneiden.

„Mir ist es ein großes Anliegen, zu vermitteln, dass man Fähigkeiten durch Üben und Geduld verbessern kann. Man tut Kindern keinen Gefallen, wenn man automatisch alles lobt, was sie fabrizieren“, sagt Haase: „Es ist faszinierend, wie Kinder staunen und sich freuen, dass es beim zweiten Anlauf schon viel besser geklappt hat.“

Manchmal braucht es nur einen Stups, etwa ein entsprechendes Angebot in der Kirchengemeinde, sagt Gaby Deibert-Dam. Die Gemeindepädagogin hat gerade mit Eltern und Kindern in der Wartburggemeinde im Frankfurter Nordend Krippen aus nachhaltigen Materialien gebaut. „Man hat die Begeisterung gespürt, etwas mit den eigenen Händen herzustellen.“ Stundenlang hätten Menschen verschiedenster Altersklassen gesägt und gehämmert, getöpfert und geformt: „Das ist nicht pillepalle!“

Herausgekommen sind ganz individuelle Josefs, Marias, Babys und Tiere, Krippen-Ensembles für Jahrzehnte, wenn man will. Aber egal ob Sterne, Engel oder Christbaumschmuck, ob puristisch oder mit viel Glitzer: Selbstgebastelte Geschenke sind ideal in einer wunschlosen Zeit, in der die materiellen Bedürfnisse vieler Menschen längst gestillt sind. Es sind Geschenke, die man vielleicht nicht direkt braucht, aber auf jeden Fall noch nicht hat.

Wer Selbstgemachtes überreicht, kämpft sogar gegen den Kapitalismus, wenn man es sich genau überlegt: Basteln schlägt jede Schenk-Ökonomie. Selbstgemachte Gaben unter den Weihnachtsbaum zu legen, ist eben etwas anderes als Tauschhandel. Sie sind unbezahlbar und ehrlich, sogar und vor allem dann, wenn sie ein ganz kleines bisschen missraten sind. Denn auch Beziehungen, Freundschaften oder sonstige Schenkverhältnisse sind ja nie perfekt. Ein geknickter Engelsflügel ist da einfach ein total zu vernachlässigendes Problem.


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Anne Lemhöfer 145 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de

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