Kaum was gefunden für „Single“
Single sein – also ein Mensch ohne feste Bindung an eine*n Partner*in – das kann eine freiwillige oder unfreiwillige Phase sein oder auch eine bewusst gewählte Lebensform: Knapp fünf Millionen Menschen in Deutschland sind Statista zufolge überzeugte Singles. Und auch diese sind alles andere als eine homogene Bevölkerungsgruppe. Was alle Singles vereint, ist, dass ihnen das paarweise Zusammenleben von Menschen etwas weniger einleuchtet oder weniger gelungen ist als anderen. Was aber nicht bedeutet, dass ihnen der Sinn für Gemeinschaft abgeht.
Auf den Webseiten der allermeisten Offenbacher und Frankfurter Gemeinden sucht man das Wort „Single“ vergeblich. Warum auch, Singles können alle Veranstaltungen wie Gottesdienste, Konzerte, Gesprächs-, Musik- und Handarbeitskreise ohne Sondereinladung besuchen und dürfen sich mitgemeint fühlen. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wenn der Bibelkreis der Gemeinde sich explizit an Ehepaare richtet und jemand weder Neigung zum Stricken oder Singen hat noch Interesse an Rückengymnastik, kann es mit der Teilhabe am Gemeindeleben schnell schwierig werden. Denn in den Gottesdiensten lernt man so schnell niemanden kennen. Darüber hinaus gelten Ehe und Familie in den Kirchen immer noch als das Basislager des Glaubens – die klassischen Rubriken auf den Websites der Gemeinden machen es kenntlich. In der Liste der Zielgruppen sucht man zwischen Kindern, Konfirmanden, Familie und Senioren die Singles vergeblich.
Angebote der Evangelischen Kirche für Singles in Frankfurt und Offenbach zu finden, gestaltet sich wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen, vielmehr: in vielen Heuhaufen, da Gemeinde-Websites nicht über eine Suchfunktion miteinander vernetzt sind. Überregional sieht es da schon besser aus: Wer beispielsweise Chöre und Musikensembles, Gruppen für Unternehmungen und Gespräche finden möchte, für den bietet die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in ihrem Webportal unter der Überschrift "Menschen kennenlernen aber wo?" eine Suchfunktion an. Generell scheinen Frauen etwas besser versorgt zu sein als Männer: Das Evangelische Frauenbegegnungszentrum in Frankfurt und das Netzwerk der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau haben eine Vielzahl an Angeboten – von Seminaren über interkulturellen Austausch und Musik, bis hin zu Wanderungen und Kinobesuchen.
Doch gibt es in den Gemeinden Angebote, die spezifische Single-Themen aufgreifen? Die Sache ist: Singles haben andere Fragen und Bedürfnisse als familiär oder partnerschaftlich gebundene Menschen: Mit wem in den Urlaub fahren? Mit wem Weihnachten feiern? Wohin an den Feiertagen? Wer hilft die Wohnung zu renovieren? Oder auch ganz banal – und in Zeiten von Corona aktueller denn je: Mit wem kann ich mich regelmäßig austauschen? Mit wem im Gespräch sein inmitten der globalen Krisen, in die jede*r Einzelne gestellt ist? Oder auch: Mit wem die Patientenverfügung ausfüllen? Wem die Vorsorgevollmacht anvertrauen? Wen kümmert's? – Sind das wirklich nur die Fragen von jenen, die eben leider gerade niemanden an Seite haben?
Mit Jesus unterwegs! – leuchtet mir bei meiner Recherche plakativ von einer Gemeinde-Website entgegen. War Jesus nicht auch Single? Wer ist denn mein*e Nächste*r? Sind Strukturen vorstellbar, die das Spannungsfeld von Individualität und Zugehörigkeit zur Gemeinde/Gemeinschaft ohne die Zwischenschritte von Partnerschaft und Familie ausloten? Vielleicht wären Personalkirchen, also Kirchengemeinden, denen kein eigener Bezirk zugeordnet ist – wie etwa die Nord-Ost-Gemeinde in Bornheim – für Singles eine interessante Alternative zur Stadtteil-gebundenen Gemeinde, da die Zugehörigkeit in die Entscheidung der Einzelnen gestellt ist und sich nicht qua Zuzug ergibt. Dass es das überhaupt gibt, dürfte den wenigsten bekannt sein.
Das Alte trägt nicht mehr, das Neue ist noch nicht da. Davon wissen Singles wie Kirchen ein Lied zu singen. Wenn es der Kirche um radikale Potenzialbefreiung der Menschen geht, dann wäre es nicht abwegig, die Einzelnen etwas mehr in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit zu stellen. Diejenigen, die gelernt haben, sich nicht auf traditionelle Lebensformen verlassen zu können, haben womöglich einiges entwickelt, was für die Zukunft aller wichtig sein könnte.
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