Mach's wie Jesus: Ein Offenbacher hat Tipps für stressige Zeiten
Herr Gutmann: Was stresst Sie im Moment am meisten?
Mein siebenjähriger Sohn muss schon wieder in Quarantäne. Einer seiner Mitschüler wurde positiv auf Covid-19 getestet. Das hatten wir im November schon einmal. Damals wurde er trotz eigener Symptome negativ getestet, allerdings erkrankte meine Frau. Das hat uns natürlich Sorgen bereitet. Und selbstverständlich mussten auch meine beiden kleinen Töchter und ich lange zuhause bleiben. Jetzt steht uns das wohl erneut bevor.
Wie gehen Sie mit so einer Stresssituation um?
Mein Sohn und ich haben ein neues Hobby entdeckt: Fossilien sammeln und präparieren. Wir hatten schon einige Funde zu Hause, zusätzliche haben wir geschenkt bekommen oder erwerben können. Glücklicherweise konnten wir meine Frau davon überzeugen, bei der Wohnzimmerumgestaltung, die während der Pandemie stattgefunden hat, einige Vitrinen zu integrieren. So haben wir nun ein kleines „Museum“ bei uns im Wohnzimmer eingerichtet. Mit meinen Töchtern spiele ich, wenn es sein muss, auch mal einen ganzen Tag lang mit Barbie-Puppen. Hauptsache, es macht Spaß und die Kinder kommen auf andere Gedanken. Es ist wichtig, dass sie sich später auch an schöne Dinge aus dieser Zeit erinnern.
Warum beschäftigt Sie das Phänomen Stress so, dass Sie jetzt ein Buch darüber geschrieben haben?
Ich arbeite seit dreizehn Jahren in der Psychiatrie und wurde schon häufig gefragt, woher ich die Ruhe und Gelassenheit im Arbeitsalltag hernehme. Das hat sicher zum einen mit einer gewissen Grundhaltung zu tun – Respekt, Wertschätzung, Empathie, Humor, Offenheit, ehrliches Interesse den Menschen gegenüber und Dankbarkeit sind dabei wichtig. Zum anderen habe ich mich immer wieder fachlich mit Stress und Burn-out auseinandergesetzt. Zu Beginn der Pandemie hatte ich irgendwie das Gefühl, dass Gott mir aufs Herz legt, dass ich ein Buch über Stressmanagement schreiben soll. Ich hatte vorher schon drei Bücher veröffentlicht, aber es war bisher nie meine Absicht, einmal ein Buch mit christlichen Aspekten zu schreiben.
Das hört sich sehr fromm an.
In der Psychiatrie gibt es dazu einen Witz: Sitzt ein Mann beim Psychiater und sagt: „Ich spreche mit Gott.“ Daraufhin der Psychiater: „Das nennt man Beten.“ Der Mann weiter: „Gott spricht auch zu mir.“ Der Psychiater: „Das nennt man Psychose.“ Ich denke schon, dass Gott in unterschiedlicher Art und Weise zu uns Menschen spricht. Vielleicht ein Beispiel dazu: Meine Frau und ich wohnten früher in Oberursel. Irgendwann haben wir uns mit dem Thema Hauskauf beschäftigt. Schnell wurde uns aufgrund der exorbitant hohen Kaufpreise klar, dass wir in dieser Gegend wohl nur maximal eine Eigentumswohnung kaufen können werden. Zur selben Zeit las meine Frau ein Buch, in dem ein junger Mann von seinen Begegnungen mit Mutter Teresa berichtete, und verspürte so etwas wie die Stimme Gottes, die ihr sagte: „Zieht ins Ghetto!“ Eines Tages recherchierte ich wieder nach Wohnungen und Häusern im Internet, als mir einfiel, dass von Frankfurtern – und auch einigen anderen Menschen – Offenbach oft als „Ghetto“ verspottet wird. So gab ich in die Suchleiste eines Immobilienportals dann Offenbach ein, und es tauchten dort plötzlich bezahlbare Häuser auf. Das war, wohlgemerkt, vor neun Jahren. Schließlich kauften wir uns ein Reihenhaus in Bürgel. Übrigens würde ich Offenbach nicht als Ghetto bezeichnen. Es gibt dort sehr viele charmante und wunderschöne Ecken und Plätze. Wir fühlen uns pudelwohl und lieben unser Zuhause und unsere Stadt. Aber nochmal zurück zum Buch: Normalerweise schreibe ich an einem Buch ein Jahr lang. An diesem habe ich nur etwa drei Monate geschrieben und in einer Woche einen Verlag gefunden. Vermutlich sollte es wohl mit dem Buch einfach klappen.
Wie kam es zu dem Titel „Jesus aber schlief“?
Als ich im Freundeskreis nach Ideen fragte und jemand diesen Vorschlag machte, wusste ich sofort, dass das der Titel werden soll. Der Satz steht ja genau so in der Bibel, im Matthäusevangelium Kapitel 8, Vers 24. Die Jünger sitzen mit Jesus im Boot, während ein heftiger Sturm aufzieht. Alle geraten in Panik, sind also im Hochstress – Jesus aber schlief. Als er die Angst der anderen spürt, steht er auf und beruhigt den Sturm. Wir Menschen sind auch so wie die Jünger: Wir werden von Ängsten, Sorgen oder Nöten geplagt, aber Jesus ist damals wie heute mitten unter uns, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und kann uns einen sicheren Weg durch die Fluten zeigen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Stressmanagement und biblische Geschichten zu verzahnen?
Während meiner Ausbildung zum Stressbewältigungstrainer und Burn-out-Berater habe ich festgestellt, dass man vieles, was dort gelehrt wird, auch in der Bibel findet. Ich arbeite ja auch bei einem diakonischen Träger, nämlich auf einer akutpsychiatrischen Station in der Klinik Hohe Mark in Oberursel. Dort begegnen mir täglich Menschen, für die Stress zum Problem wurde. Ebenso begegnen mir dort auch gläubige Menschen, die auf der Suche nach Hilfe und Unterstützung sind. So entstand aus dem Arbeitsalltag die Idee, das Thema Stress mit dem biblischen Kontext zu verknüpfen. Jedem Kapitel meines Buches ist ein biblisches Zitat vorangestellt, und ich gehe teilweise im Text auch darauf ein.
Was war die interessanteste Entdeckung, die Sie bei der Arbeit an dem Buch gemacht haben?
Wie gut die Bibel die Menschen kennt: Alle stressbedingten Phänomene, die wir heute benennen können, gab es schon seit Anbeginn der Menschheit. Mose und Elia zum Beispiel hatten wahrscheinlich das, was wir heute Burn-out nennen, und riefen Gott um Hilfe an. Ein schönes Beispiel für Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, ist auch Josef, der von seinen Brüdern in einen Brunnen geworfen und später nach Ägypten verkauft wird. Trotzdem wird er später zum Segen für seine Familie und viele andere Menschen. Auch wenn wir oft nicht verstehen, warum bestimmte Dinge passieren oder warum Gott sie zulässt, zum Beispiel so eine Pandemie, glaube ich doch, dass jede Krise auch etwas Positives in sich birgt. In Bezug auf Corona ist zum Beispiel die spannende Frage, was uns wirklich wichtig (geworden) ist und was wir aus daraus für die Zukunft mitnehmen werden.
Wie trägt Ihr Glaube Sie?
Ich habe den Glauben schon mit in die Wiege gelegt bekommen. Meine Eltern sind Christen und ich bin christlich erzogen worden. Der Glaube ist für mich sinngebend. Ich glaube, dass Gott wie ein liebender Vater oder eine Mutter ist, der möchte, dass unser Leben gelingt und wir glücklich und zufrieden sind. Für mich hat der Glaube eine gesundheitsfördernde, resilienzfördernde Komponente – wenn er richtig verstanden wird. Falsche Glaubenssätze oder Gottesbilder können hingegen krankmachend wirken. Auch das erlebe ich im klinischen Arbeitsalltag.
Wie fließen Ihre Erkenntnisse in Ihre Arbeit mit psychisch kranken Menschen ein?
Ich bin in erster Linie Fachpfleger für Psychiatrische Pflege und kein Missionar. Ich möchte meine Patientinnen und Patienten fachlich kompetent beraten und unterstützen, ich möchte ein offenes Ohr für sie haben und ihnen auf dem Genesungsweg behilflich sein. Ich nehme mir dabei einen Satz von Franz von Assisi zu Herzen: „Predige jederzeit das Evangelium, und wenn nötig, auch mit Worten.“ Es geht um eine Grundhaltung, die auf Nächstenliebe basiert. Da ich aber in einer christlich orientierten Klinik arbeite, ergeben sich schon manchmal Gespräche über den Glauben, worauf ich auf Nachfrage gerne eingehe.
Welchen Rat können Sie pandemiegestressten Menschen geben?
Den ultimativen Universaltipp gibt es da leider nicht. Jeder Mensch braucht etwas anderes in diesen Zeiten. In meinem Buch stelle ich über vierzig verschiedene Strategien zur Stressbewältigung vor, von der Identifikation von Stressoren bis zur Stärkung des Selbstwertgefühls, Sport oder Ernährung. Jede Person muss sich mit sich selbst auseinandersetzen, sich ergründen und Problematiken erkennen, benennen und dann konstruktiv bearbeiten. Mein Buch möchte nicht belehren, im Sinne von „Du sollst oder du musst dies oder das tun“, sondern Denkanstöße liefern und letztendlich Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Aber haben Sie nicht wenigstens einen Tipp?
Vielleicht den: Setzen Sie sich in diesen Zeiten doch einmal genauer mit sich auseinander und hinterfragen Sie sich, wer Sie eigentlich sind, was Sie ausmacht, was Ihnen Halt und Sinn gibt und was Ihnen im Leben wichtig ist. Irgendwann wird auch diese Pandemie vorbei sein oder wir haben gelernt, uns damit zu arrangieren, und dann können diese Erkenntnisse möglicherweise hilfreich für ein stressfreies und zufriedenes Leben sein.
Jonatan Gutmann: Jesus aber schlief. Biblische Tipps für effektives Stressmanagement, Francke-Verlag 2021, 12,92 Euro
2 Kommentare
Dieses Buch eignet sich gerade in dieser Zeit zur Stressbewältigung und für alle die sich mit veränderten Lebenssituationenn auseinander setzen müssen. Auch eine Hilfe mit Trauer, Leid und Schmerz besser umzugehen. Möge es ganz vielen Menschen zum Segen werden.
Die Intention des Ganzen, Ist das was es als tragendes Wort in Verbindung zum Menschen steht! Es geht nicht nur um das Stressgefühl zu akzeptieren, sondern auch den resultierenden Folgen Gegenüber zu stehen. Und zu schauen...Was macht es mit mir löst es ihn mir aus.....und was brauch es um es ändern zu können....achtsamer mit sich und andern umzugehen. Bin ich bereit dazu diesen Schritt zu gehen....mein Verhalten ändern zu wollen und meine Haltung dazu anzupassen Gott bietet Schutz, kann uns begleiten, uns bestärken, uns eine Unterstützung sein um Entscheidungen zu treffen. Den Mut sich, sich selbst zu stellen, die ersten schrite zu gehen trägt jeder Selbst!!!!! Den inneren Frieden können nur wir selbst uns geben mit der Hilfe Gottes! Freiheit und Glück stehen eng beieinander....doch gelebt werden kann es nur individuell.