Leben & Alltag

Ich erfinde mich neu!

Sich neu zu erfinden ist heutzutage sehr beliebt. Mutig das Alte abschneiden und alles nochmal auf null, das klingt doch verlockend. Oder etwa nicht?

Alles auf Anfang: Das Ei ist ein Symbol für das Neue, für Fruchtbarkeit, für Ostern. | Foto: Revolt/unsplash.com
Alles auf Anfang: Das Ei ist ein Symbol für das Neue, für Fruchtbarkeit, für Ostern. | Foto: Revolt/unsplash.com

Es wird jetzt echt mal Zeit. So geht es nicht weiter. Mein altes Ich kriegt Falten, graue Haare und setzt Speck an. Unter uns gesagt, langweilt es mich auch schon seit geraumer Weile mit seinem unsicheren Stottern, den ewig gleichen Gewohnheiten und seinen charakterlichen Schwächen. Ich hab‘s mir überlegt: Wir trennen uns. Mein Ich und ich. Ich denke daran, mich neu zu erfinden.

Ist übrigens der neue Trend. Mit Dazulernen, Entwicklung oder Reifung gibt sich keiner mehr ab. Wir tauschen das ganze Betriebssystem aus und beschließen: Siehe, ich mache alles neu! Amina 2.0, na gut. Bei Wikihow finde ich einen Plan mit vier Methoden, je unterteilt in etliche Schritte.

Das wird also eine längere Sache. Dabei weiß ich schon, was ich will. Zunächst eine plastisch-chirurgische Generalüberholung, damit ich als Fotoshop-Variante meiner selbst endlich zufrieden sein kann mit meinem Äußeren. Dazu gehört Sport. Mein neues, deutlich disziplinierteres Ich wird ohne Widerspruch morgens um 6 Uhr in die Laufschuhe springen. Ein anderer Beruf wäre mal dran, vielleicht Heilpraktikerin oder Tanztherapeutin? Ein neuer Mann (tja, mein Lieber!) sähe gut aus. Andere Kinder erspare ich mir.

Gern genommen: Eine neue Weltanschauung, meist einhergehend mit anderen Freunden. Zum krönenden Abschluss: ein anderer Name. Ja, ich weiß, Heino kam als Rocker auch mit dem alten Namen samt Sonnenbrille aus, aber ich begnüge mich nicht mit halben Sachen. Ich komme groß raus als Banjo, Moon Unit oder Bear Blue.

Es kann einem ganz schwindelig werden beim Blick auf das perfekte Ich, das mein altes Ich hier gewissermaßen am Reißbrett entwirft. All meine Wünsche danach, endlich einmal frei und überlegen, beliebt und schön zu sein, sie werden erfüllt. Mach ich selbst. Visualisiere, denke positiv, erziehe mich um, trainiere, verschönere und belehre mich. Das ganze Programm. Ich, ich, ich.

Was herauskommt, Sie ahnen es bereits, ist ein Riesen-ICH. Ein vermutlich total gestresstes, denn Selbsterfindung ist superanstrengend, für das frischerfundene Ich und erst recht für die genervte Umgebung. Vermutlich würde ich binnen kurzer Zeit mein ausgemustertes Selbst vermissen, samt der Fähigkeit, meinen Fehlern mit einer so viel schöneren Methode beizukommen: indem ich herzlich darüber lache. Puh, das entspannt!

Das Menschenerfinden überlasse ich lieber einem, der damit Erfahrung hat. „Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu!“ (Offenbarung, Kapitel 21, Vers 5.)


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Autorin

Pfarrerin Amina Bruch-Cincar ist Prodekanin des Evangelischen Stadtdekanats Frankfurt und Offenbach. Nähere Informationen zu ihrer Person finden Sie hier. Sie ist für den Dekanatsbereich Süd-Ost zuständig, zudem koordiniert sie die Arbeitsbereiche Kirchenmusik und Altenseelsorge.

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