Leben & Alltag

Georgia Bohris von der Straffälligenhilfe erlebt große Dankbarkeit

Anlässlich des Jubiläums 125 Jahre Stadtsynodalverband, 50 Jahre Evangelischer Regionalverband, stellte sich die Freie Straffälligenhilfe der Diakonie Frankfurt und Offenbach in einem Festgottesdienst in der Heiligeistkirche vor. Georgia Bohris berichtete. Im Folgenden ein Beitrag über die Arbeit und die Menschen, denen die Straffälligenhilfe zugute kommt.

Jessica Wild und Georgia Bohris von der Freien Straffälligenhilfe der Diakonie Frankfurt und Offenbach. I Foto: Susanne Schmidt-Lüer
Jessica Wild und Georgia Bohris von der Freien Straffälligenhilfe der Diakonie Frankfurt und Offenbach. I Foto: Susanne Schmidt-Lüer

Drei Stufen führen zur Freien Straffälligenhilfe der Diakonie Frankfurt und Offenbach an der Bieberer Straße 104, unweit vom Bahnhof Offenbach-Ost. Menschen, die aus der Haft entlassen sind oder denen Gefängnis droht sowie ihre Angehörigen sind hier für Beratung und ganz konkrete Hilfe herzlich willkommen. Georgia Bohris, deren Grübchen sich beim Lachen vertiefen, zitiert aus der Bibel, um klar zu machen: „Es ist originäre Aufgabe von Kirche und Diakonie, Menschen in Haft zu unterstützen.“ Die Stelle aus Matthäus 25,40 lautet: „Ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht.“

Vor mehr als 30 Jahren begann die Arbeit der Freien Straffälligenhilfe beim damaligen Regionalen Diakonischen Werk Offenbach-Dreieich-Rodgau. Die Sozialpädagogin Georgia Bohris ist schon seit 16 Jahren dabei. Von Offenbach aus fahren Bohris und ihre Kollegin Jessica Wild nach Frankfurt Preungesheim, denn in Offenbach gibt es kein Gefängnis. Sie sind für Männer in der Justizvollzugsanstalt IV und für Frauen in der JVA Frankfurt III zuständig. Drei weitere Vereine in Frankfurt arbeiten ebenfalls in der Freien Straffälligenhilfe

Geschrei, Gelaufe und ein großes Hallo

Bohris und Wild erzählen, dass sie ein solides Standing brauchen und gut Grenzen setzen müssen, wenn sie auf eine der Stationen mit 38 inhaftierten Männern gehen. In den Doppelzellen stehen die Türen auf, es gibt drei Toiletten für alle. „Die Situation für die Inhaftierten ist sehr belastend, es gibt keine Privatsphäre, ständig herrscht ein großes Hallo, Geschrei, Gelaufe“, sagt Bohris.

Von der Einsamkeit erschlagen

Die meisten Gefangenen sind deshalb sehr erleichtert, wenn sie nach der Haft einen der sechs Plätze im Betreuten Wohnen für Haftentlassene in Offenbach ergattern. „Sie finden es traumhaft, ein eigenes Zimmer, ein Klingelschild und einen Briefkasten zu haben und nur einen Mitbewohner, mit dem sie sich Dusche und WC teilen,“ sagt Bohris. Viele stabilisieren sich. Andere werden in Freiheit „erschlagen von Einsamkeit“. Wer aus der Haft entlassen wird, stößt auf weitere Probleme: „Sie haben vieles verlernt zum Beispiel, selbst die Wäsche zu waschen, einzukaufen, zu kochen oder einen Arzttermin zu organisieren.“ Die räumliche Nähe zur Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie ist hilfreich: Viele gehen in den Kleiderladen und besuchen die Teestube, um sich dort aufzuhalten und nicht alleine zu sein.

Viele haben noch nie etwas abgeschlossen

Bohris und Wild leisten zudem Übergangsmanagement und bieten Inhaftierten Einzelberatung und Gruppenkurse an. Beispielsweise Soziales Kompetenztraining oder Anti-Gewalttraining. Absolventen erhalten ein Zertifikat: „Unsere Klienten sind zum Teil unfassbar stolz darauf, weil sie etwas abgeschlossen haben, viele haben noch nie etwas fertiggemacht.“ Wer die Inhaftierten sind? Die Diakonie-Mitarbeiterinnen zählen auf: Es sitzen immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen ein, so gut wie alle haben eine Suchterkrankung, die meisten haben schwere Schicksale und schwere Lebensbedingungen.

So wie Du bist, bist Du gut

Ihre Beratung, sagen Bohris und Wild, fragen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten an. Menschen mit wenig Geld sitzen trotzdem eher ein, etwa weil sie beim Fahren ohne Fahrkarte erwischt wurden, die Geldstrafe nicht zahlen können und die Strafe in Haft absitzen müssen. „Für viele sind wir Familien- und Freundesersatz. Sie haben keinen sonst, der an ihrer Entwicklung Anteil nimmt. Wenn wir sie loben, werden sie immer größer und gerader. Sie sind unfassbar dankbar für unser Menschenbild ‘so wie Du bist, bist Du trotzdem gut‘‘. Bohris und Wild erlebten es schon, dass Menschen, die wiederholt verurteilt wurden, sich dafür entschuldigten: „Aber wir lassen sie nicht fallen. Das erlebten sie schon oft genug, dass keiner mehr da ist.“

Taschentücher für die Tränen

Auf Georgia Bohris Schreibtisch steht eine Box mit Taschentüchern. „Bei uns können Klienten weinen, weil sie sich uns durch unsere Schweigepflicht anvertrauen können.“ Strafverfahren, Gericht, Haft - das ist psychisch sehr belastend. Dazu kommt: Wohnung, Arbeit, Hausstand, Partnerin mit der Haft meist weg sind – Haftentlassene „müssen komplett neu anfangen und zahlen einen hohen Preis“. Was würde helfen? Mehr bezahlbarer Wohnraum, mehr Fachkräfte, eine solide Finanzierung der Straffälligenhilfe, mehr Angebote für Haftentlassene und eine Lobby für mehr Verständnis und Abbau von Vorurteilen. In Haft, sagen Bohris und Wild, sind die Menschen „satt, sauber, entgiftet“. In Freiheit ist es anders, manche wissen zwei Tage vor der Haftentlassung noch nicht, wo sie übernachten können. Besonders bei Menschen mit psychischen Erkrankungen bestünden hohe Hürden, wo sie unterkommen können, viele werden in die Wohnungslosenhilfe vermittelt. Für sie ist das Stress pur.

Das Knast-Kochbuch

Für inhaftierte Frauen geben die Fachfrauen der Diakonie einen „ReIn-Alltag Kurs“. Manche Teilnehmerinnen sind lange in Haft, die meisten haben Kinder, manche sitzen wegen schwerer Straftaten ein. „Wir bieten ihnen viele Themen, damit sie mit dem Kopf im Leben draußen bleiben.“ Die Frauen haben ein Knast-Kochbuch geschrieben, auf das sie total stolz sind.

Bezaubernde Klienten

Was Jessica Wild und Georgia Bohris motiviert? Sie lächeln strahlend, während sie erzählen: „Es ist eine sehr wertschätzende Arbeit, die sehr viel Spaß macht, wir kriegen unfassbar viele liebe Rückmeldungen, Blümchen, Bonbons, selbstgemalte Bilder, es wird viel gelacht und die Klienten sind sehr bezaubernd.“


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Autorin

Susanne Schmidt-Lüer ist Mitglied der Stabsstelle Kommunikation, Marketing und Fundraising des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach. Sie schreibt auch als freie Autorin, vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.