Leben & Alltag

Die Bedürfnisse von Kindern werden in der Coronakrise missachtet

Kinder und Jugendliche haben im vergangenen Jahr die größten Opfer gebracht, um die Pandemie zu bekämpfen. Es ist Zeit, ihre Interessen endlich stärker in den Vordergrund zu rücken.

Felix Volpp arbeitet in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.
Felix Volpp arbeitet in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.

Wenn ich zurückblicke, hatte ich eine glückliche und unbeschwerte Kindheit und Jugend: Ich erinnere mich an große Kindergeburtstagsfeiern, an die aufregenden Abende, wenn ich bei Freunden übernachtet habe, an die Spieleabende meiner Eltern mit ihren Freunden, bei denen ich den Gesprächen vom Sofa aus lauschte, bis ich einschlief. Ich erinnere mich an den ersten Kuss und an Klassenfahrten, bei denen wir uns in Gemeinschaftsschlafsälen über den schnarchenden Mitschüler aufgeregt haben. Wir haben ausgelassen gelacht, immer war jemand zu Besuch, es war ein herzliches Miteinander.

Jetzt bin ich selbst Vater und schaue mich um, wie Kinder und Jugendliche in der aktuellen Situation aufwachsen: Ich sehe überlastete Eltern, die neben ihrer Vollzeitarbeit im Homeoffice ihre Kinder im Homeschooling unterrichten. Die gleichzeitig den Unterhalt sichern, Lehrerin und Erzieher, Ansprechpartner und Seelsorgerin sein sollen. Sicher gibt es Menschen, die in sich ruhen, ausgeglichene Eltern, die selbst keine Sorgen haben und sich nicht nebenbei noch um pflegebedürftige Angehörige kümmern, bei denen mag das funktionieren – in vielen Fällen führt es jedoch zu Spannungen und Konflikten.

Viele Kinder sind nicht in der glücklichen Situation, dass ihnen die Eltern erklären können, was irregular verbs sind oder wie Photosynthese funktioniert. Wer zuhause keine Unterstützung erhält, bleibt vielerorts auf der Strecke.

Diese angespannte Situation hat Folgen: Im Radio höre ich seit Monaten, dass Kinderärzte Alarm schlagen. Ich erinnere mich an eine Mitschülerin, die im Sportunterricht durch blaue Flecken an Armen und Beinen auffiel, und daran, dass die Lehrerin sich an das Jugendamt wandte. Dieser Blick von außen fehlt jetzt.

Die Kinder- und Jugendpsychiatrien können zum Teil keine neuen Patient:innen mehr aufnehmen, wenn diese nicht suizidgefährdet sind, weil sie überlastet sind. Zahllose Kinder, die – nicht zuletzt aufgrund der Isolation – unter Depressionen leiden, können nicht behandelt werden. Wir können stolz sein, dass wir es gemeinsam geschafft haben eine Überlastung der Intensivstationen in den Krankenhäusern zu umgehen – aber an dieser Stelle müssen wir uns eingestehen, als Gesellschaft versagt zu haben.

In Radio und Fernsehen reden Politiker davon, dass zeitnah allen ein Impfangebot gemacht werden kann. „Alle“ meint in diesem Fall jedoch nur Menschen über 16, für Kinder und Jugendliche ist bisher kein Impfstoff zugelassen.

Schulkinder müssen sich zweimal pro Woche auf Corona testen, während man es den Massen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Großraumbüros fahren nicht zumuten kann?

Was trauen wir den Jüngsten in unserer Gesellschaft zu? Denen, die wir schützen sollten, die einen sicheren Rahmen verdienen, in dem sie behütet aufwachsen, Kontakte knüpfen und ihre eigenen Erfahrungen machen können?

Weil sie keine Lobby haben, bei der nächsten Wahl keine Stimme abgeben dürfen und über keine finanziellen Mittel verfügen, mit denen sie die Wirtschaft am Laufen halten, werden sie nicht als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft wahrgenommen. Gleichzeitig erwarten wir von ihnen, dass sie verständnisvoll und solidarisch handeln.

Lange Zeit haben wir uns alle zurückgenommen, haben unsere Kontakte auf ein Minimum eingeschränkt, um die vermeintlich Schwächsten in unserer Gesellschaft, die Alten und Kranken, zu schützen. Aber haben unsere Kinder nicht denselben Schutz verdient? Sind ihre Bedürfnisse weniger wert, nur weil sie sie noch nicht so gut äußern können?

Die Kinder und Jugendlichen von heute werden maßgeblich mitbestimmen, wie unsere Gesellschaft von morgen aussieht. Das Bild, das wir ihnen vermitteln, wenn wir immer nur an ihr Verständnis appellieren, gleichzeitig aber kein Verständnis für ihre Belange aufbringen, ist keine gute Grundlage für ein künftiges Miteinander.


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