Kunst & Kultur

Vom heimischen Sofa aus nach Borneo. Oder in den Kölner Dom.

Virtual-Reality-Reisen sind eigentlich wie gemacht für die Kirchen in Zeiten von Kontaktbeschränkungen – vom Chorsingen trotz Corona bis zu Besichtigungstouren von der Couch aus ist vieles möglich.

Virtuelle Realität - mit neuer Technologie kann man von zuhause aus die schönsten Sehenswürdigkeiten erkunden. | Foto: Hammer & Tusk / Unsplash
Virtuelle Realität - mit neuer Technologie kann man von zuhause aus die schönsten Sehenswürdigkeiten erkunden. | Foto: Hammer & Tusk / Unsplash

Haben Sie schon immer einmal davon geträumt, auf dem Altar einer berühmten Kirche zu stehen? Oder aus voller Kehle zu singen, obwohl das im Gottesdienst laut der Corona-Bestimmungen nicht erlaubt ist? Beides ist möglich – und noch viel mehr.

Allerdings brauchen Sie dafür ein kleines Hilfsmittel: eine Virtual-Reality-Brille (kurz: VR-Brille). Genau, das ist dieses merkwürdige schwarze Teil, das Jugendliche tragen, wenn sie in ihrem Zimmer in die Welten von Computerspielen eintauchen, wenn sie, was für die Betrachterin ulkig aussieht, heftig mit den Armen rudern, und dem Vernehmen nach gerade einer Zombie-Armee den Garaus machen. Die Anschaffung ist teuer, aber immer mehr Unternehmen haben eine Ausleihe im Angebot – und in vielen Museen gibt es mittlerweile VR-Stationen.

Denn eine Virtual-Reality-Brille kann mehr, als Computerspiele gruselig echt wirken zu lassen. Sie kann uns die Welt zeigen, auch wenn wir, wie derzeit, mehr an unsere eigenen vier Wände gebunden sind als sonst. Mit der VR-Technik lässt sich nach Borneo oder auf den Mount Everest verreisen. Sie können sich auf einen Tauchgang begeben und Haien die Stirn bieten. Erleben Sie den freien Fall bei einem Fallschirmsprung oder machen Sie gleich einen Ausflug ins Weltall. Wenn Sie es lieber ruhiger mögen, verbringen Sie an einem sonnigen Tag etwas Zeit auf einer Wiese im New Yorker Central Park. Ohne Flugticket, Sonnenbrand und Reisestress. Und ohne Mund-Nase-Maske.

Die VR-Technik beginnt gerade, sich von einem Nischenphänomen zum Mainstream für besondere Gelegenheiten zu entwickeln. Und in Zeiten der Corona-Krise bieten sich mit den Brillen, die eine 360-Grad-Ansicht und auch das Treffen anderer User im virtuellen Raum möglich machen, ungeahnte Möglichkeiten – gerade für die Kirchen. Es ist vermutlich kein Zufall, dass die berühmteste deutsche VR-Anwendung ein begehbares Panorama des Kölner Doms ist. Beeindruckende Kirchenarchitektur macht das Herumwandern und Staunen in einem täuschend echten Raum zu einem erstaunlichen Erlebnis. „So etwas gibt es?“, denken sich selbst digital nicht ganz ahnungslose Menschen, die das erste Mal auf diese Art im Kopf verreisen. Jeden Stein des Kölner Doms haben die Macherinnen und Macher der vom WDR in Auftrag gegebenen „Experience“ fotografiert und am Computer zu einem zusammenhängenden dreidimensionalen Raum verknüpft, in dem sich herumgehen lässt. Der Kölner Dom als leerer Raum? Wann hat es das je gegeben?

Möglich ist ein Rundgang mit Hilfe der „Photogrammetrie“. Durch eine Kombination aus 360°-Fotografie und millimetergenauer 3D-Laservermessung kann man sich im kompletten Dom frei bewegen, auch auf Emporen, dem Altar und anderen Orten, die sonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, geschweige denn bekletterbar sind. So können auch die kommen, die tausende Kilometer entfernt sind. Ein Privatkonzert des Domchors bei Nacht, ein Flug zu Orgelmusik, Flanieren zwischen aussortierten Steinstatuen und Beichtstühlen – ein jahrhundertealtes Wahrzeichen trifft in diesem Projekt auf High-Tech. Ist es theologisch okay, auf einen Altar zu hüpfen, und sei es nur virtuell? Ist das alles mehr als eine schöne Spielerei oder wäre auch ernsthafte Liturgie möglich? Gut möglich, dass bald über solche Themen diskutiert wird.

Nicht jeder gläubige Mensch lebt in der Nähe einer schönen Kirche, Synagoge, Moschee oder eines Sikh-Tempels. Dank der Virtual-Reality-Welten lassen sich etliche religiöse Orte auf der Welt aber trotzdem erkunden. Spannend – auch für Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Möglich wird auch die Erkundung nicht ganz so berühmter Gotteshäuser etwa durch das Projekt „Lebendige Steine“ der Nordkirche, das Schulen, Gemeinden und Konfi-Gruppen dazu einlädt, ihre Kirche ebenfalls zum VR-Erlebnis zu machen. Die Idee dazu stammt von der Religionslehrerin Friederike Wenisch, die mit ihren Siebtklässlern eigene 360-Grad-Fotografien in Kirchen angefertigt hat. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche hoch motiviert arbeiten, wenn sie in Aussicht gestellt bekommen, in VR-Welten eintauchen zu dürfen“, sagt sie.

Und was ist mit der Gemeinschaft? Auch zusammen lassen sich theoretisch Gottesdienste feiern, wenn alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Zugang zu einer VR-Brille haben. In den USA wird das vereinzelt schon gemacht. Statt im analogen Kirchengebäude gibt es einen Gottesdienst in einer eigens 3D animierten Kirche in dem VR-Social Hub „Altspace“. Die Services haben oft eine eigene „Liturgie“ aus ca 30 Minuten Musik, Gebet, Predigt, Gebet und Segen. Der so genannte Church Room wird ausschließlich in der Zeit der Events zugänglich gemacht, damit tatsächlich alle gemeinsam feiern. „Gottesdienste in VR finde ich als Pastor sowohl vom Verkündigungsauftrag als auch von meinem privaten Interesse in diesem Bereich außerordentlich spannend – übrigens sowohl aus Gemeindesicht als auch als Liturg. Allerdings halte ich eine institutionalisierte, regelmäßige Form als Initiative einer deutschsprachigen Landeskirche allein für viel zu klein angelegt. Wenn, dann müsste ein solches Projekt eher EKD-weit geplant, beworben und begleitet werden“, sagt Pfarrer Micha Steinbrück von der Evangelischen Medienarbeit.

Auch in Frankfurt können Menschen, die nicht selbst eine VR-Brille besitzen, die Technik einmal ausprobieren. Während einer Virtual-Reality-Tour im neuen Museum TimeRide tauchen Besucher*innen an der Seite des fiktiven Geschäftsmanns Theodor Riedel bei drei spannenden Stationen mitten in die Geschichte der Frankfurter Altstadt ein. Tickets können ab sofort online gekauft werden. Beachtet werden muss dabei, dass die Zeitreise-Tickets auf einen festen Timeslot ausgestellt sind. Innerhalb dieses Zeitfensters startet in der Regel alle 10 Minuten eine neue Tour. 

Aktuelle Öffnungszeiten: Freitag bis Sonntag, 11-19 Uhr, Berliner Straße 42a, 60311 Frankfurt.

Webseite: www.timeride.de/frankfurt


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Anne Lemhöfer 145 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de

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