Kunst & Kultur

Penisse aus Pappe: Explizite Kunst auf Pappe

Kunst, die explizite Körperlichkeit darstellt: Die Ausstellung „Auf Messers Schneide. Papphabitate“ mit Arbeiten von Wolfgang Klee und Gregor Wald läuft noch bis 6. Mai in der Weißfrauen Diakoniekirche.

Kunst, die explizite Körperlichkeit darstellt: Wolfgang Klee und seine Menschenwesen aus Pappe. | Foto: Rolf Oeser
Kunst, die explizite Körperlichkeit darstellt: Wolfgang Klee und seine Menschenwesen aus Pappe. | Foto: Rolf Oeser

Die grau-braunen Papp-Arbeiten des Künstlers Wolfgang Klee, die zurzeit in der Weißfrauen Diakoniekirche zu sehen sind, stellen kleine, in sich geschlossene, reibungslos funktionierende Gesellschaften dar: Darin kacken Menschenwesen mit meist hervorquellenden Augen, fressen die ausgeschiedenen Würste oder auch menschliche Glieder. Sie kotzen, penetrieren oder werden von oft überlangen Penissen penetriert, sie setzen Spritzen oder werden gespritzt. Auch Totenköpfe sind zu sehen.

„Jedes Exponat erzählt eine Geschichte“, erklärt der 1936 geborene Künstler, der an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und der Städelschule ausgebildet worden ist und die 1968er Revolution als befreiend erlebte. „Meine Menschenwesen haben kein Schmerz- oder Lustempfinden mehr, sie agieren, funktionieren in einem Rahmen.“ Das könne sogar ganz witzig sein. Wenn etwa in „Kollektive Vergewaltigung“, sechs Männer ihre Penisse durch Löcher auf einem Dach schieben, wirke das auf manche Betrachter wie eine absurde Turnübung.

„Das sind keine Charaktere, das ist nicht personalisiert, es betrifft uns alle“, sagte Kurator Thomas Kober bei der Eröffnung im März. „Wer bewusst lebt, muss Anstoß nehmen“, bestätigte auch Diakoniepfarrer Markus Eisele bei der Eröffnung. Besonders im Bahnhofsviertel, wo Wohnungslose und Drogenabhängige ständig präsent seien. „Darum darf Kunst auch anstößig sein.“ Die Weißfrauen Diakoniekirche nannte Eisele einen „durchbeteten Raum“, dem nichts Menschliches fremd sei.

„Papphabitate“ hat auch der zweite Künstler der Schau, Gregor Wald, geschaffen. Vordergründig idyllisch wirken seine puppenstubenähnlichen Wohnräume der 1950er und 60er Jahre mit plastisch drapierten Illustrierten-Ausschnitten. Sie zeigen strahlende Gesichter und typisches Interieur wie Nierentisch, Stehlampe, viele Spirituosen, einmal einen Rauhaardackel, ein andermal einen Teddybär und einen Kreisel. Bei genauem Hinsehen sind die Köpfe aber zu groß für die Körper, manches Lächeln ist zum Grinsen verzerrt, viele Böden sind schiefe Ebenen, oder das Kind in der Kleinfamilie ist gar kein Kind, sondern eine Puppe. „Und in der Tiefe der Räume, im Hintergrund, brodelt es“, sagte Kober. „Man weiß nie, wann da was losgeht und die schöne Oberfläche vielleicht gesprengt wird.“

Die Welt seiner Elterngeneration sei ein „Kindheitstrauma“, sagt der 1966 geborene Künstler, der künstlerisch als klassischer Außenseiter und von Trends unbeeinflusst gilt. Von ihm sind auch die bunten, verspielten kleinen Maschinen, die auf einem langen Tisch ausgestellt sind. Aber sie sind gar nicht so unkompliziert, wie sie auf den ersten Blick wirken. Jede einzelne ist dysfunktional, ein Widerspruch in sich.

Vor Ausstellungsbeginn hat Kober am Aufgang der Weißfrauenkirche eine „Triggerwarnung“ angebracht. Die explizite Darstellung mancher Exponate könne unangenehme Gefühle auslösen. Wer sich darauf einlassen kann, wird mit ganz eigenen, existenziellen Sichtweisen belohnt.

„Auf Messers Schneide. Papphabitate“ ist noch zu sehen bis 6. Mai in der Weißfrauen Diakoniekirche, Weserstraße 5. Geöffnet: Dienstags bis Samstags von 11 bis 17 Uhr.


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Autorin

Stephanie von Selchow ist Redakteurin des EFO-Magazins.

1 Kommentar

5. April 2023 12:19 Antje Kroll

Ich habe die Ausstellung gesehen und kann mit Wolfang Klees Arbeiten nicht viel anfangen, gerne würde ich den Künstler fragen, was er damit beabsichtigt. Und ich frage mich, welche "eigenen, existenziellen Sichtweisen" möglich sind, wenn man sich auf seine Arbeiten einlässt. Dies wird im Artikel meines Erachtens nicht deutlich. Gregor Walds Arbeiten kenne ich schon lange, er fertigt seine bizarren "Puppenstübchen" seit Jahren, vielleicht sogar seit Jahrzehnten, an. Überrascht haben mich Walds verspielte dysfunktionale "Maschinchen", auf den ersten Blick wirkten sie auf mich wie Spielzeug aus einem Überraschungsei. Es hat mir gefallen, dass diese Objekte etwas Leichtigkeit in die Ausstellung bringen.

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