Kunst & Kultur

Mit viel Liebe für seltsame Gestalten

Udo Lindenberg interviewt Gott und schaut hinter den Horizont: Uwe Birnstein über die religiösen und sinnsuchenden Seiten des Künstlers.

Uwe Birnstein: Alles klar, Udo Lindenberg! Verlag Neue Stadt, München 2022, 136 Seiten, 16 Euro.
Uwe Birnstein: Alles klar, Udo Lindenberg! Verlag Neue Stadt, München 2022, 136 Seiten, 16 Euro.

Zugegeben, der Sprechgesang von Udo Lindenberg ist musikalisch nicht so mein Ding, aber einige seiner Erzählungen sind so witzig, so einfallsreich, so überraschend, dass sie einfach Klassiker der deutschen Rock- und Popkultur geworden sind. Herausragend der „Sonderzug nach Pankow“ oder „Horizont“.

Wirklich angerührt hat mich aber schon bei Erscheinen Lindenbergs Friedenshymne „Wozu sind Kriege da“. Gemeinhin verbindet man mit dem „Panik-Rocker“ Rock 'n' Roll, Zigarre und Eierlikör, aber nicht Religion, Kirche und Tiefgang. Doch genau das zeigt der Theologe und Journalist Uwe Birnstein in seinem Buch „Alles klar, Udo Lindenberg!“, in dem er die „religiöse Spur“ nachzeichnet, die sich durch Lindenbergs Leben und künstlerisches Werk zieht.

Udo Lindenberg wurde mit neun Jahren getauft, auf eigenen Wunsch und den seiner Großmutter. Sein Verhältnis zur Kirche und zu seinem Geburtsort Gonau, der „Abtörnstadt“, war von Beginn an eine Auseinandersetzung mit Konventionen. Udo trommelte sich raus aus der Provinz-Ödnis. Wie für so viele am Ende der 1960er Jahre, gibt auch für Lindenberg Hermann Hesse mit seinen Romanen Anregung, sich mit dem Lebenssinn auseinanderzusetzen. Die Romanfigur Sidhartha fasziniert ihn so sehr, dass er es ihr gleichtut: Er setzt sich an einen Fluss, die Elbe, in der Hoffnung auf Erleuchtung. Seine Erfahrung hat er im Song „The River“ zusammengefasst: Der Fluss des Lebens kenne nur ein Ziel, das Meer – „der ewige Kreislauf des Lebens“.

Uwe Birnstein hat als junger Journalist Lindenberg vor vielen Jahren selbst interviewt. Es gelingt ihm, uns mit in das Geschehen hineinzunehmen. So tritt man ein in die Kneipe „Onkel Pö“, wo „Halodris und Schüchterne, Großkotzige und Möchtegerne, Mühselige und Beladene, Gewinner und Verlierer“ sitzen. Mit großem Herzen und Sympathie begegnet Lindenberg „den seltsamen Gestalten“. Im Song „Andrea Doria“ beschreibt er die Szene. Da tanzt auch „Rosa oder so“ auf dem Tisch „Gogogo“. Und auch andere Gestalten mit ulkigen Namen tauchen in Lindenbergs Werk auf. „Gerhard Gösebrecht“, „Johnny Controlletti“ und „Rudi Ratlos“, „achzigjähriger Geiger", der einst „Leibmusikarist von Adolf Hitler und Eva Braun“ war.

Birnstein spekuliert, ob nicht all diese Typen in die Bibel aufgenommen würden, wenn diese fortgeschrieben würde und verweist auf all die Menschen, die mit ihren Eigenheiten in der Bibel beschrieben werden. „Das biblische und das Universum des Udo Lindenberg sind nicht weit voneinander entfernt.“ So hat Lindenbergs Song „Salomon“ einen direkten Bezug zur biblischen Vorlage des Liebesliedes. Esther Ofraim haucht dazu auf Hebräisch: „Komm, mein Geliebter, betritt deinen Garten!“ Sexualität und katholische Kirche. Frech und flapsig kommentiert Lindenberg: „Der weiße Blitz aus Rom – keine Pille, kein Kondom“.

Doch Lindenberg ist kein Kirchenhasser. Er will keine religiösen Gefühle verletzten. „Draufhauen ist Lindenberg zu billig“, stellt Birnstein fest. Es mag daran liegen, dass er ein positives Bild von Jesus hat.

Und da ist noch der Maler Lindenberg. Nur wenige wissen, dass er auch einen Bilderzyklus zu den zehn Geboten geschaffen hat, der schon in mancher Kirche ausgestellt wurde, erstmals 2002. Lindenberg selbst sagt: „Ich sehe den religiösen Fanatismus, ich sehe, wie Leute eben nicht ins Gespräch kommen, um sich friedlich abzusprechen auf dem kleinen blauen, zerbrechlichen Planeten und den Frieden endlich mal hinzukriegen nach all den Jahrhunderten, eine Katastrophe nach der anderen.“ Die Bilder haben inzwischen sogar in katholische Schulbücher Einzug gehalten. Birnstein: „Ein kultureller Glücksfall für alle, denen an einer Übersetzung der alten Lehren in die Gegenwart gelegen ist.“

Lindenberg unterstützt das Bonifatiuswerk, das katholische Gemeinden in Diasporaregionen hilft, und ist auf St. Pauli mit dem dortigen Kiez-Pfarrer Karl Schultz in Kontakt, für dessen Buch er ein Vorwort schrieb. Lindenbergs schnoddrige Art, sein anderer Blick, lässt sich auch vergleichen mit Martin Luthers „dem Volk auf's Maul schauen".

Angesichts des Krieges in der Ukraine werden auch Zeilen aus seinem Lied „Interview mit Gott“ aktuell. Darin fasst Lindenberg die klassische Theodizeefrage in einfachen Worten zusammen: „Wenn du doch der Liebe Gott bist, warum lässt du dann Kriege zu?“ Gott antwortet: „Ihr wisst doch, ich habe eure Welt so schön für euch erschaffen. Doch ihr, ihr habt sie vollgeknallt mit Waffen.“ Und weiter fordert Gott die Menschen in diesem Song auf: „Doch es nützt kein Beichten. Nee, es nützt kein Beten. Kümmert euch jetzt mal selber um euern Planeten“. In der theologischen Wissenschaft wird eine solche Erläuterung als Prozesstheologie bezeichnet.

Birnstein schüttet über Udo Lindenberg kein Weihwasser, aber er zeigt dessen Bezüge zu den existentiellen Fragen des Lebens auf. Auch in seiner Auseinandersetzung mit dem Tod. Lindenberg ist tiefgründiger als man ahnt. Er hatte so manchen Absturz zu verdauen. Oder, wie er selbst sagte: „Den Tod zu kennen hilft mir, bewusster zu leben“. Auch hier stellt er einen Bezug zur Bibel her, zum Psalm 90: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“

Uwe Birnstein: Alles klar, Udo Lindenberg! Verlag Neue Stadt, München 2022, 136 Seiten, 16 Euro.


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Autor

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt und Offenbach". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.

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