Prächtige Betonskulpturen: ein Lob auf die Kirchen der Sechziger
Der Frankfurter Autor und Architekturkritiker Wilhelm Opatz hat sich intensiv mit der Frankfurter Baugeschichte befasst. Voriges Jahr erschien sein dritter Band über die Nachkriegsgeschichte, der Architekturführer Frankfurt 1970-1979 (Junius Verlag), die Süddeutsche Zeitung sprach von „einem großartigen Band“. Sein neues Buch beschäftigt sich mit der Auferstehungskirche in Sailauf, die kürzlich abgerissen wurde.
Herr Opatz, In ihrem neuen Buch sprechen Sie in Bezug auf die Kirchenbauten der 1960er und 1970er Jahre von „prächtigen Betonskulpturen“. Woher rührt Ihre Faszination?
Wilhelm Opatz: Mein Interesse kam tatsächlich wie ein Donnerschlag, man könnte auch sagen, wie eine göttliche Fügung. 2009 las ich in der Tagespresse einen Bericht über den bevorstehenden Abriss der Auferstehungskirche in Sailauf im Spessart und fuhr direkt hin. Dort traf ich auf den jungen Architekturstudenten Peter Wohlwender, er hat nun das Buch – von mir gestaltet und mit einem Text von mir – in einem Berliner Verlag herausgegeben. Ja, ich bewundere die große Freiheit, die seinerzeit ungesehene und großartige Architektur zu bauen. Die Bewunderung gilt nicht nur der Phantasie der Architekten, auch dem Mut der Gemeinden, solch neuartige Bauwerke zu realisieren.
Wofür standen diese Kirchen damals, wofür stehen sie heute?
Die jungen Architekten wollten damals die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus hinter sich lassen und den Neubeginn mit Architektur definieren; die Gemeinden wollten ebenfalls sichtbare Zeichen setzen – die neuartigen Kirchen sind sozusagen die gebaute Demokratie. Heutzutage fasziniert der gebaute Anachronismus in Zeiten des uniformierten Bauens, schätze ich.
Auf das Baumaterial Beton wird regelmäßig verwiesen, tatsächlich kennzeichnet diese Bauten ja eine Vielfalt an Materialien, Klinkersteine als Verkleidung, aufwändig gestaltete Fenster, hinzu kommen ungewöhnliche Grundrisse. Warum wird der Beton immer hervorgehoben?
Man hat sicher großen Respekt vor der schieren Masse, dem gewaltigen Volumen, den ausladenden Rundungen, der Härte des eingeschalten Betons und der Kühnheit des Entwurfs. Weil ich dieser einseitigen Betrachtung entgegen wirken möchte, zeige ich in meinen Architekturbüchern sehr viele Details.
Vielerorts verschwindet in Frankfurt zurzeit die Architektur der sechziger, siebziger Jahre. Prominentestes Beispiel ist sicher das Technische Rathaus, das der Neuen Altstadt gewichen ist. Früher war die „Lebenserwartung“ von Massivbauten wesentlich länger, aktuell scheint Frankfurt im ständigen Modus der Selbsterneuerung zu sein. Wie sehen Sie das?
Hier in Frankfurt gehört die Erneuerung ja fast schon zum guten Ton. Ohne den Willen dazu hätten wir zum Beispiel nicht die Hochhauskulisse. Wäre ich in München oder in Bamberg, würde mich das sicher viel mehr stören.
Poetisch werden Kirchen in Ihren Büchern als Orte der Einkehr, der Geborgenheit beschrieben. Für viele zeigt sich der Charakter einer Kirche aber erst, wenn Sie erfüllt ist mit Wort, mit Musik, wie ergeht es Ihnen?
Ehrlich gesagt, fasziniert mich der leere Raum mehr. Auf die Sprache der erhabenen Architektur kann ich mich sehr gut einlassen – das, wonach man in der Kirche sucht, findet man auch in der Stille. Dem zufälligen Üben eines Organisten oder einer Organistin höre ich aber durchaus sehr gerne zu.
Sie wohnen unweit der Festeburgkirche, die gerade ihr fünfzigstes Jubiläum feierte. Wenn Sie mit dem Fahrrad daran vorbeifahren, was kommt Ihnen in den Sinn?
Ich erfreue mich sehr an der besonderen Wertschätzung der Kirche durch die Gemeinde. Der Bau ist wirklich gepflegt, die umgebenden Grünanlagen ebenfalls. Und selbst die neuerlichen Baumaßnahmen wie die zusätzliche Tür an der Südseite sind sehr behutsam und passen das Haus an die heutige Nutzung an. Wünschen würde ich mir, dass sich alle Kirchengemeinden so mit ihrem besonderen Bauerbe verbinden und es nach wie vor so würdigen würden, wie es hier geschieht.
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