„Das gemeinsame Musizieren motiviert“
Frau Pfeiffer, wie schwierig ist es heute, Kindern und Jugendlichen klassische Musik zu vermitteln?
Sunhild Pfeiffer: Der Hauptpunkt ist, die Schüler:innen zum regelmäßigen Üben zu bringen. Denn ohne das funktioniert es nicht. Über die Jahre – ich unterrichte seit den 1980er Jahren – ist es vielleicht ein bisschen schwerer geworden, die Kinder in die Konzentration zu bringen, Verbindlichkeit herzustellen. Aber sie lassen sich auch „einfangen“. Unsere Spezialität in der Bläserschule ist der kostenfreie Ensembleunterricht. Das gemeinsame Musizieren motiviert die Jugendlichen zusätzlich, wirklich etwas zu tun und dranzubleiben.
Ist die klassische Musik bei den Kindern und Jugendlichen wirklich noch gefragt, oder sind es nicht eher andere Musikstile?
Ganz selten erlebe ich es, dass jemand sagt: Ich will nur Popmusik spielen. Zunächst geht es ja erst einmal darum, die Grundlagen zu lernen. Am Anfang spielt man Lieder und Choräle – und das mögen Kinder und Jugendliche tatsächlich auch wieder gerne. Da lernen sie, gut zu phrasieren. Wenn sie merken, es klingt gut, es klingt schön, ich kann mich ausdrücken, können sie sich in verschiedenen Musikstilen bewegen. Das geht aber erst ab einem bestimmten Niveau. Wir bieten ein breites Spektrum an – von Chorälen bis Jazz, von Renaissance bis Romantik.
Warum sollte ein Kind ein Blechblasinstrument erlernen?
Es klingt toll und hat etwas mit Power zu tun, mit Lebensfreude. Die Vorstellung, dass ein Blechblasinstrument viel Kraft voraussetzt, stimmt nicht mehr so ganz – es ist eher eine Frage der Atemtechnik. So gibt es zierliche, schlanke Mädels, die sehr gut und mit Power Trompete spielen, weil eben die Technik stimmt. Und weil der Biss da ist.
Welche Besonderheiten bietet die Frankfurter Bläserschule?
Die Bläserschule ist als Modell meines Wissens einzigartig. Ein Musikinstitut, das nur Ensembleunterricht anbietet. Da lernen die jungen Menschen früh, dass sie keine Einzelkämpfer sind. Wir bieten die verschiedensten Besetzungen an. Wir bringen die Leistungsstarken zusammen, etwa in einem klassischen Bläserquintett. Für diejenigen, die noch nicht so weit sind, stellen wir größere Ensembles zusammen. Wenn sie zu zweit oder zu dritt eine Stimme spielen, in einer Gruppe von zwölf Leuten, dann geht das und klingt auch gut. Das Tolle ist, dass wir die Zusammenstellung der Ensembles immer wieder verändern können, um die Schüler:innen nach ihrem jeweiligen Entwicklungsstand bestmöglich zu fördern.
Die Kinder spielen also von Anfang an zusammen?
Ja. Auch Anfänger wirken schon in Konzerten und Gottesdiensten mit. Die Kinder lernen von Anfang an, wie es ist, aufzutreten, mit Lampenfieber umzugehen – in der Gruppe ist das immer leichter.
Und der Einzelunterricht am Instrument läuft parallel dazu?
Die Teilnahme an der Bläserschule setzt qualifizierten Einzelunterricht voraus, der privat bezahlt wird. Und natürlich auch regelmäßiges Üben. Teilweise erteilen meine beiden Kollegen und ich diesen Einzelunterricht. Wir kooperieren aber auch mit privaten Instrumentallehrern und Lehrkräften von anderen Instituten, deren Schüler:innen vielleicht nicht die Möglichkeit haben, im Ensemble zu spielen.
Wie hat sich die Bläserschule seit ihrer Gründung 2016 entwickelt? Was waren die bisherigen Highlights ihrer Arbeit?
Von etwa 27 im ersten Halbjahr hat sich die Zahl der Schüler:innen inzwischen bei etwa 70 eingependelt. Im letzten Schuljahr hatten wir insgesamt 13 Ensembles. Mein Ziel wären 80 Schülerinnen und Schüler und 14 oder 15 Ensembles, um das Projekt auf ein sicheres Fundament zu stellen. Anfangs haben wir hauptsächlich in Gottesdiensten gespielt, nach und nach kamen jetzt immer mehr andere Auftritte hinzu. Zu den Highlights gehört sicherlich ein Austauschprojekt mit Brasilien. 2017 bin ich mit einem Quintett für Workshops und Konzerte dorthin gereist. Etwas Besonderes war auch die Kooperation mit dem Papageno Musiktheater. Ein Quartett von uns wirkte beim Stück „Der schwarze Peter“ mit.
Mit dem Stadtführer Christian Setzepfandt haben wir 2022 einen musikalischen Stadtrundrundgang gemacht. Zwischen Mainufer und Alter Oper haben wir an verschiedenen Plätzen mit verschiedenen Ensembles eigens arrangierte Stücke von Komponisten mit Frankfurt-Bezug gespielt. Das war ein echtes Großprojekt. Etwas Vergleichbares haben dann auch auf dem Hauptfriedhof, zum „Tag des Friedhofs“ gemacht. Inzwischen sind wir bei städtischen und kirchlichen Gedenkveranstaltungen regelmäßig eingebunden – etwa zum Judenpogrom oder dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Ein Kollege arrangiert und komponiert speziell für unsere Ensembles. Diese Noten geben wir inzwischen als eigene Kollektion heraus.
Woher kommen die Schülerinnen und Schüler – sind sie besonders kirchenverbunden?
Sie kommen aus verschiedenen Schulen in Frankfurt und der Region. In der Regel besuchen sie ein Gymnasium und stammen aus der Mittelschicht. Wir sind offen, was die Konfession angeht. Das war bei Gründung der Schule schon so gewollt. Wir sind auch gehalten, mit unserem Pendant, der Frankfurter Domsingschule, regelmäßig zusammen zu arbeiten.
Sie machen also auch gemeinsame Projekte mit Chor?
In den ersten Jahren haben wir mit der Domsingschule gemeinsam Evensongs und Advent Carol Services gestaltet. Durch Corona ist das leider etwas ins Stocken geraten. Mittlerweile aber musizieren wir wieder gemeinsam. Auch konnte erst kürzlich ein Chor-Bläser-Projekt in der Lukaskirche unter Leitung von Simon Graeber realisiert werden.
Welche Auswirkungen hatte Corona sonst auf Ihre Arbeit?
Ich bin froh, dass wir die Pandemie relativ gut überstanden haben. Wir konnten immer zumindest draußen spielen und hatten in dieser Zeit auch etwa 80 bis 90 Auftritte, oft vor Alten- und Pflegeheimen. Sehr zur Freude der dortigen Bewohnerinnen und Bewohner. Und auch die Eltern waren dankbar für diese Struktur im Alltag ihrer Kinder.
Welches Altersspektrum decken Sie ab?
Unsere Schüler:innen sind zwischen zehn und zwanzig Jahre alt. Durch Corona haben uns die Älteren nicht sofort nach Schulabschluss verlassen. Das hatte natürlich Vorteile.
Wie lange bleiben die Kinder und Jugendlichen in der Regel dabei?
Wir haben wenig Fluktuation. Ein paar verlieren während der Pubertät die Lust, aber das ist selten. Die, die einmal angebissen haben, bleiben meistens auch dabei. Im vergangenen Jahr haben wir die letzten Gründungsmitglieder verabschiedet. Aus der ersten Generation sind zwei Orchestermusiker geworden, eine junge Frau studiert Jazztrompete und auch andere wollen die Musik zum Beruf machen.
Sie haben ja auch regelmäßig Teilnehmende bei Jugend musiziert.
Um die Stabilität der Ensembles zu stärken, fördern wir auch das solistische Spiel. Es gibt regelmäßige Klassenvorspiele. Wir haben dieses Jahr 15 Solisten bei Jugend musiziert. Das ist ein Viertel der Schule.
Und durch die Probenarbeit gibt es eine enge Verzahnung mit den Kirchengemeinden.
In der Gethsemane-, der Lukas-, der Reformierten und der Matthäusgemeinde dürfen wir mietfrei proben. Dafür spielen wir in Gottesdiensten – als Ensemble, oder einzelne Solistinnen und Solisten musizieren mit Orgelbegleitung. Auf Anfrage kommen wir auch in andere Gemeinden.
Wie finanziert sich die Arbeit der Schule?
Die evangelische Kirche finanziert meine Stelle, der Förderverein Jugendkirchenmusik die Stellen meiner beiden Kollegen. Katholische Kirche und Stadt tragen dazu bei, dass Domsingschule und Bläserschule finanziell funktionieren. Förderung erhalten wir außerdem von der Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen, die etwa unser Notenbudget übernimmt. Auch die Eltern und andere Spender unterstützen uns.
Was passiert mit den 10.000 Euro Preisgeld?
Das wird für eine Musikfreizeit und Konzertreise nach Italien verwendet. Fünf Ensembles werden in den Sommerferien dort hinfahren. Neben der Qualität des Musizierens sind solche Projekte auch wichtig für den sozialen Zusammenhalt.
Die Frankfurter Bläserschule wurde 2016 vom Förderverein der Frankfurter Domsingschule (heute Förderverein Jugendkirchenmusik), katholischem und evangelischem Dekanat als konfessionsverbindendes Angebot ins Leben gerufen. Durch die Auswahl der Projekte und Auftritte versuche Leiterin Sunhild Pfeiffer, den derzeit 63 Schüler:innen im Alter zwischen 9 und 18 Jahren „lebensnahe Kultur zu vermitteln und das geschichtliche Bewusstsein zu schärfen“, so die Robert-Schumann-Gesellschaft in der Begründung. So traten die derzeit 13 Ensembles der Gedenkfeiern zur Reichspogromnacht oder beim Adventscafé für obdachlose und arme Menschen auf. Der nach dem deutschen Komponisten Robert Schumann (1810-1856) benannten Preis wird seit 2012 vergeben.
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