Bettina Strübel hört beim Interreligiösen Chor auf und bleibt beim weiten Horizont
Von „loslassen“ spricht Bettina Strübel, von „irgendwann ist es Zeit“: Nach zwölf Jahren und 18 Tehillim-Psalmen-Projekten gibt die evangelische Kantorin die Leitung des Interreligiösen Chors Frankfurt (IRCF), den sie mit aus der Taufe gehoben hat, zum Jahresende ab. Froh ist die 61-Jährige, die in Offenbach Vollzeit-Kirchenmusikerin der Evangelischen Mirjamgemeinde ist, dass es weitergeht. Ihr Pendant, Daniel Kempin, Kantor des Egalitären Minjan der Gemeinschaft liberaler Juden innerhalb der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, wird auch in Zukunft als Leiter des IRCF fungieren, eine Nachfolge für Strübel wird gesucht.
Im Mai 2024 haben beide, neben zwei anderen Initiativen, den Integrationspreis 2023 der Stadt Frankfurt aus den Händen von Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg im Kaisersaal des Römers entgegennehmen können. Bis heute ist der Kirchenmusikerin die Verbindung zu anderen Religionen und Kulturen ein wichtiges Anliegen. Und doch ist in ihr seit längerem der Entschluss gereift, die Leitung des Interreligiösen Chors Frankfurt aus zeitlichen Gründen abzugeben. Mit dem 18. Tehillim Psalmenprojekt zu Psalm 96, Aufführung war im November in der Jüdischen Gemeinde, darüber hinaus eine Diskussionsveranstaltung dazu in der Evangelischen Akademie, endete ihr Engagement. Offiziell ist zum Jahreswechsel Schluss. „Ein neues Lied“ war das Konzert am 12. November betitelt. „Singet dem Herrn ein neues Lied“ beginnt Psalm 96, um den es ging.
Bettina Strübel will um ihren Abschied vom Interreligiösen Chor keinen großen Wirbel machen, in einer Portraitsendung unlängst auf hr2 fiel die Information, dass sie aufhört, unter den Tisch, bloß kein Aufhebens, lieber bei der Sache, dem Engagement für interreligiös verstandene Musik, bleiben. Wenn Strübel, blaues Shirt, passende Kette, olivfarbene Hose, spricht, wirkt sie gelassen, einzig die Hände kommen oft in Bewegung. Sie streicht über den Tisch, breitet sie aus. „Sie gestikuliert“ trifft es nicht, eher kommt die Dirigentin bei ihr zum Vorschein.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag wird Strübel mit der Offenbacher Kantorei in der Lutherkirche in Offenbach unter anderem Johann Sebastian Bachs Kantate „Sie werden aus Saba alle kommen“ aufführen. Gewissermaßen schließt sich damit ein Kreis: Bei dem ersten interreligiösen Chorprojekt ging es auch um die Königin von Saba, die als kluge, weise, mächtige und reiche Herrscherin gilt, die zu König Salomo kam mit Präsenten und Selbstbewusstsein. In Äthiopien wird sie verehrt, dem Jemen zugeordnet.
Strübel bezog sich 2012 auf Händel, sie studierte mit der interreligiösen Gruppe aber auch andere Elemente ein. In der Evangelischen Akademie trat der Chor damals im Rahmen der interkulturellen Wochen auf, mit verschiedenen Religionsvertreter:innen wurde über Inhalt und Wirkung diskutiert. Die frühere Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, Pfarrerin Esther Gebhardt, und die Evangelische Akademie hätten maßgeblich die Erfolgsgeschichte des Interreligiösen Chors in Gang gesetzt, berichtet Bettina Strübel.
Einstudieren und Debatte gehören zu allen Projekten des Interreligiösen Chors: Was will uns der Text sagen, welche Übersetzungsvarianten gibt es und finden sich ähnliche Verse auch im Koran? Eine Koransure und einen Psalm zu den Themen Trauer und Trost brachte der Interreligiöse Chor 2019 bei einem der Chorprojekte in Verbindung, aber auch bei den anderen Vorhaben werden immer Verbindungen gezogen zu verschiedenen Religionen. Christliche, jüdische und muslimische Sänger:innen verschiedener Nationalitäten, auch Menschen ohne explizite religiöse Bindung wirken in dem Chor mit. Eine Reihe evangelischer Theologinnen und Theologen beteiligen sich. Silke Schrom, Pfarrerin der Evangelischen Cyriakusgemeinde in Frankfurt-Rödelheim, sagt: „Wenn etwas im Leben alternativlos ist, dann die Notwendigkeit zum Austausch, zum Dialog. Auch über religiöse Dinge und Glaubensfragen, gerade weil Konflikte heute häufig auch religiös aufgeladen sind. Im IRCF ergibt sich der Dialog ganz organisch. Die Freude am gemeinsamen Singen und der inhaltliche Austausch über das Gesungene gehören untrennbar zusammen und befruchten sich."
Fortsetzen wird Bettina Strübel die Leitung des interreligiösen Festival Musica Sacra International , das alle zwei Jahre im Allgäu stattfindet, das nächste 2026 (>> mehr). Aktuell konzentriert sich die Kirchenmusikerin auf Offenbach. Im zu Ende gehenden Jahr 2024 hat sie mit der dortigen Kantorei eine kleine musikalische Weltreise unternommen: Das erste Projekt führte zu argentinischem Tango, in der zweiten Jahreshälfte ging es erst zu dem persischen Dichter Hafiz, an Weihnachten steht mit der Königin von Saba und den Heiligen Drei Königen eine weitere interkulturelle Begegnung an.
Nächstes Jahr will der Chor im Rahmen der Offenbacher Tage der Kirchenmusik zu dem Titel „Da Pacem“ Werke der estnischen Komponistin Ester Mägi, ihres Landsmanns Arvo Pärt sowie des Letten Pēteris Vasks aufführen. Weihnachten 2025 möchte Bettina Strübel mit der Offenbacher Kantorei das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach in den Blick nehmen – bei der Programmankündigung steht hinter dem „Oratorium“ ein Pluszeichen, gewiss wird die Kantorin auch bei diesem Konzert den musikalischen Blick weiten.