Von der „Verwendung“ zur Berufung – der steinige Weg von Frauen ins Pfarramt
Als Helga Engler-Heidle 1967 mit dem Theologiestudium begann, war in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) der Pfarrberuf noch fest in männlicher Hand. Bis 1970 durften Frauen allenfalls Vikarinnen werden, und erst kurz zuvor war der Pfarrerinnen-Zölibat aufgehoben worden. Bis dato war eine Heirat das Aus für die Berufstätigkeit von Frauen im Kirchendienst gewesen.
Weibliche Vorbilder also waren für angehende Theologinnen damals schwer zu finden – und dennoch: Dass Frauen den Pfarrdienst versehen können, war mehr als eine Zukunftsvision. Bereits im Krieg hatten sie das getan, ohne rechtliche Grundlage, aber vollauf akzeptiert. Diese Erfahrung einseitiger Verbindlichkeit mag bei jenen Frauen, die nach dem Krieg ihre Ämter wieder aufgeben mussten, nicht nur Wunden hinterlassen, sondern auch die Neigung zur Infragestellung patriarchaler Strukturen in der Kirche verstärkt haben.
Doch die Kirchensynode der Nachkriegszeit kehrte erst einmal direktiv und argumentativ hinter die Ambitionen der ersten Frauenbewegung zurück und nistete sich entlang biblischer Erzählungen von der „natürlichen“ Unterordnung der Frau in den antiquierten Geschlechterstereotypen der deutschen Nachkriegsgesellschaft ein. Für die Frauen war das aber nur ein Grund, lauter zu werden. Und so hat sich seither sehr viel getan: Kamen 1950 in Frankfurt auf eine Vikarin 69 Pfarrer, so standen 1997 45 Gemeindepfarrerinnen 93 Gemeindepfarrern gegenüber. Heute ist das Verhältnis in Frankfurt und Offenbach nahezu paritätisch.
Hessen-Nassau und insbesondere Frankfurt scheinen dabei eine Art Wiege der Gleichstellung von Frauen in der Evangelischen Kirche in Deutschland gewesen zu sein: 1950 wurde in Frankfurt Katharina Staritz die erste Stadtvikarin für Frauenarbeit auf einer eigens eingerichteten Stelle. Als erste evangelische Gemeindepfarrerin wurde 1961 Waltraud Hübner in Zeilsheim ordiniert, 1970 folgte Gerlind Schwöbel in der Katharinengemeinde an der Hauptwache, sie war die erste verheiratete Pfarrerin in der EKHN. Mit Waltraud Frodien gab es 1980 erstmals eine Dekanin in Deutschland, und mit Helga Trösken ab 1987 eine erste Pröpstin, beide wurden in Frankfurt ordiniert.
Die Reise in die Geschichte der Frauenbewegung ist spannend und führt weit in die Vergangenheit. Carola Barth, erste Frau mit einem akademischen Abschluss in Theologie und Lehrerin an der Frankfurter Schillerschule, wurde 1919 Stadtverordnete. Eine Aussicht auf eine Berufstätigkeit in der Kirche hatten Theologinnen damals nicht. Denn trotz akademischer Weihen zweifelten die kirchlichen Würdenträger daran, dass Frauen imstande sein könnten, das religiöse Leben zu bereichern. Seit der Jahrhundertwende, seit sie an den Universitäten für den Studiengang zugelassen waren, diskutierten Theologinnen über das Pfarramt. So vielfältig die Frauen, so unterschiedlich die Stimmen: Carola Barth war eine derjenigen, die dafür plädierten, dass Frauen das volle Pfarramt ausfüllen können. Bis dahin allerdings sollte es noch ein wenig dauern.
Viel später, in der Nachkriegszeit – ab 1949 – wurden Frauen zunächst als Vikarinnen für „Sonderpfarrämter“ zugelassen. Sie durften sich um Kinder kümmern, um Alte, um Gefangene, selbstaufopfernd und mütterlich, aber ohne geistige Berufung und mit geringeren Bezügen, denn schließlich – in der Kirchensynode war man um ein Rechenbeispiel nicht verlegen – war ein Junggesellenhaushalt um 20 Prozent teurer als der einer alleinstehenden Frau. Vikarinnen konnten laut Dienstordnung für bestimmte Dienste „verwendet“ werden, eigene Ambitionen waren nicht vorgesehen, bis 1959. Erst dann allmählich gestand man ihnen zu, eine Gemeinde führen zu können. Der Weg ins Pfarrerinnenamt war aber auch danach nicht einfach.
Wie Frauen Kirchengeschichte geschrieben haben, wird ab März 2020 nachzulesen sein in einer Publikation von Helga Engler-Heidle und Ute Knie unter dem Titel „Frauenbewegung in der EKHN“. Derzeit sind zu diesem Stichwort online eine Vielzahl von Informationen zugänglich – auf der Homepage der EKHN sowie – ebenfalls von den Autorinnen initiiert – in Wikipedia, eine Einladung zum lustvollen Stöbern in Zeitdokumenten, für die einen Erinnerungen, für andere aufschlussreiche Überraschungen nebst erstaunlichen Kuriositäten.
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