Tod und Trauer sind keine Randerscheinungen
„Gestorben wird eigentlich immer“, im Herbst seien die Zahlen nicht besonders hoch, „eher nach Weihnachten und Silvester“, sagt Pfarrerin Charlotte von Winterfeld, „die Leute wollen die Feiertage noch mitnehmen“, vermutet die in Frankfurt-Nied Tätige, im Sommer gebe es auch an den heißen Tagen einen gewissen Anstieg, stimmt sie ihrem Kollegen Joachim Preiser aus dem benachbarten Griesheim zu, mit dem sie nicht nur in Sachen Trauerfeiern kooperiert. 40, 50 Bestattungen gebe es jeweils in den Stadtteilen pro Jahr berichten die beiden.
Manche sterben einsam. Unter Mühen werden Angehörige recherchiert, Nachbarn kümmern sich darum, dass die Toten würdig zu Grabe getragen werden. In anderen Fällen habe er schon die Urne in der Hand einen langen Zug durch den Stadtteil angeführt, bis zum Nieder Friedhof, der gleich neben der S-Bahnstation liegt, „da wird der Tod sichtbar“, sagt Preiser. Die beiden thematisieren Tod und Trauer auch im Konfirmandenunterricht, gehen mit den Jugendlichen auf den Friedhof.
Auf den Friedhöfen stehen Trauerhallen zur Verfügung, in Griesheim, in Nied, im nahe gelegenen Höchst etwas größer. Manchmal reicht der Platz in den Trauerhallen nicht für die, die Abschied nehmen wollen. Eine halbe Stunde Nutzung, sie kostet 234 Euro, „das kann eng werden“, so von Winterfeld.
Die Trauerfeiern werden zunehmend in den Kirchen gehalten. Das ist für die Kirchenmitglieder kostenlos. Doch das ist nicht das Entscheidende: In den Kirchen gibt es mehr Raum für Gestaltung, Zeit für die Ansprache, am Sarg, bei Wind und Wetter, Zeit, Lieblingsmusik abzuspielen.
„Auf Bach, Andreas Gabaliers „Amoi seg ma uns wieder" folgen zu lassen, die 51 Jahre alte Pfarrerin hat da ein offenes Herz und Ohr. Auch Preiser. Er frage aber schon mal nach, ob das Lieblingslied, etwa ein Schunkelsong von Roger Whitaker ideal für diesen Moment ist, für die Beerdigung. Was eine Party gekrönt hat, passt nicht unbedingt zum Abschied am Grab. Da empfiehlt der 54 Jahre alte Pfarrer schon mal: „Ist das nicht eher was fürs Trauercafé?“
Daniela von Schoeler gehört neben den beiden zu dem Pfarrteam in Griesheim und Nied. Spezialisiert ist keiner der drei auf Beerdigungen. Trauerfeiern gehören für sie alle dazu. Beerdigungen gelten nicht als bedauerliches, notwendiges Beiwerk. Sie verstehen sie als zentralen Bestandteil ihres Berufes: „Wir sprechen aus unserem christlichen Glauben heraus vom Tod, er wird als Bestandteil des Lebens verstanden.“ Preiser zitiert aus Psalm 90, „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, die Bibel spart den Tod nicht aus, „wo geschieht das heutzutage sonst noch?“
Anders als manche Redner und Rednerinnen, die Lebensläufe vortragen, in der Hoffnung auf Zufriedenheit der Kundschaft, meist positiv gefärbt, getreu des Mottos „über Tote soll man nichts Böses sagen“, ist es beiden, von Winterfeld und Preiser, wichtig, die Menschen mit ihren Ecken und Kanten zu beschreiben, Glückmomente, aber auch Krisen und Erfahrungen des Scheiterns nicht auszublenden. „Der Mensch in seiner Ganzheit ist von Gott geliebt und angenommen“, daraus nährt sich die Hoffnung, die sie in Ansprache und Gebet vermitteln wollen.
Es sei schon vorgekommen, dass Leute ihm seitenlange Epen in die Hand gedrückt hätten über Verstorbene, gefolgt von der Nachfrage: „Tragen sie das denn auch so vor?“ Nein, war die Antwort, berichtet Joachim Preiser. Es geht darum, bei den Vorbereitungen aus unterschiedlichen Perspektiven etwas über die Menschen zu erfahren. Sie benenne in der Ansprache die Quellen, „erwähnte der Bruder“, „sagte die Freundin“, so von Winterfeld. Sie habe in ihren Anfangsjahren erlebt, dass eine Frau nur das Beste von ihrem Mann erzählte, nach der Ansprache kamen Angehörige und sagten, „wussten sie nicht, dass er sie windelweich geschlagen hat?“
Gelegentlich kennen Preiser und von Winterfeld die Verstorbenen, etwa weil sie in einer der Gemeinden engagiert waren. Oft erlebten sie jedoch: „Bis sie 70, 75 sind, kommen die Leute in die Kirche, danach werden sie schwächer.“ An den Geburtstagen machen die Pfarrerin, der Pfarrer, Besuche, von der letzten Begegnung bis zum Tod können jedoch eine Reihe an Jahren ins Land gehen.
Aussegnungen, eine Andacht am Totenbett, bieten die beiden, wie auch andere Kolleginnen und Kollegen an. Das sei oft ein intimer, wichtiger Trostmoment. Manchmal, der Tod schon auf der Schwelle, kommen sie in die Klinik, in die Wohnung, für einen Segen, eventuell ein Abendmahl, „das ist noch mal ganz was Besonderes“, schildert von Winterfeld diese Momente.