Gott & Glauben

„Selbstoptimierung durch Religion ist eine Modeerscheinung“

Was würde fehlen, wenn es die Kirche nicht mehr gäbe? Der Religionssoziologie Hans Joas gibt in seinem neuen Buch eine Antwort.

Hans Joas: Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft. Herder 2022, 240 Seiten, 22 Euro.
Hans Joas: Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft. Herder 2022, 240 Seiten, 22 Euro.

Das neue Buches des Religionssoziologen Hans Joas mit dem Titel „Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft“ in den Händen haltend, bin ich gespannt auf die Antwort der Frage: Was würde fehlen, wenn es die Kirche nicht mehr gäbe? Angesichts rapide sinkender Mitgliederzahlen der Kirchen in Deutschland, ist die Frage nicht unberechtigt. Sicher: spirituelle Praktiken lassen sich an jeder Ecke auftreiben. YouTube-Videos liefern Anleitungen zu Meditationsübungen, auf Esoterikmessen stellt ein Engelmedium Kontakt in andere Sphären her. Warum nicht auch ein christlicher Glaube ohne dessen tragende Institution Kirche? Wäre das nicht zeitgemäß?

Nein, meint Joas. Denn der christliche Glaube, die Gemeinden, stünden für eine solidarische Gemeinschaft und für ein gelebtes Miteinander. Joas ist dagegen, den Glauben nur damit zu begründen, dass er Menschen stärkt und tröstet. Selbstoptimierung durch Religion sei eine Modeerscheinung und laufe dem christlichen Anliegen völlig entgegen.

Stattdessen formuliert Joas die Idee eines moralischen Universalismus. Ausgehend von der Nächstenliebe fordert er, dass in Entscheidungen oder Handlungen Generationen um Generationen Berücksichtigung finden. Moralisch gerechtfertigt sei nur ein Handeln, das über die Perspektive des Nächsten hinaus jede Grenze eines denkbaren Gemeinwesens überschreitet.

Von dieser Überlegung aus schlägt Joas die Brücke zur Kirche und der Frage ihrer Existenzberechtigung und -begründung: In anderen sozialen Organisationen, etwa einem Kleingartenverein oder in einer Volkshochschule, könne eine universale moralische Dimension nicht vermittelt werden.

Genau das wäre daher das Besondere der christlichen Gemeinde: Ein Ort zu sein, wo „moralischer Universalismus“ mit Leben gefüllt und der Fortbestand einer solchen Ethik gesichert wird, sei es rituell in der Liturgie oder durch die Weitergabe dieser Haltung an kommende Generationen. Denn nur in einem regelmäßigen Erleben von Glaube in Gemeinschaft entwickelt sich ein Gefühl von Fürsorgepflicht für andere.

Mit dieser Annahme Joas’ ließen sich Rückschlüsse auf die fortschreitende Tendenz der Individualisierung schließen. Die allermeisten Kirchenbänke verwaisen, das Gemeinschaftserleben in den Gemeinden bricht Stück für Stück weg. Und der Staffelstab des „moralischen Universalismus“ gerät ins Stocken. Auch angesichts der Klimakatastrophe und der damit anrollenden Hungerkatastrophe am Horn von Afrika, um nur ein Beispiel zu nennen, hat Hans Joas eine wichtige Botschaft: Der christliche Glaube ist nicht Selbstoptimierung. Er ist Verantwortung für unsere Nächsten.


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Angela Wolf 123 Artikel

Angela Wolf ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. Sie wurde 1978 in Aschaffenburg geboren. Heute lebt sie in Frankfurt am Main, wo sie Soziologie, Politikwissenschaften und Psychoanalyse studierte.

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