Gott & Glauben

Von Beziehungsproblemen bis zur Evolutionstheorie: Ein Pfarrer zum Mieten

Willi Temme ist Pfarrer in Kassel, und man kann ihn für eine Stunde mieten - als Ratgeber, um Gesellschaft zu haben, als Diskussionspartner. Ist „Rent a Pastor“ nur ein Marketing-Gag oder bringt es wirklich was? Sandra Hoffmann hat mit Willi Temme über sein Projekt gesprochen.

Willi Temme ist Pfarrer - und man kann ihn mieten. Kostenlos natürlich. | Foto: privat
Willi Temme ist Pfarrer - und man kann ihn mieten. Kostenlos natürlich. | Foto: privat

Herr Temme, Sie sind seit 20 Jahren Stadtkirchenpfarrer an der Martinskirche in Kassel. Wie kamen Sie auf die Idee, sich „mieten“ zu lassen?

Die Erfahrung hatte mir gezeigt, dass Formate wie Bibelgesprächskreise heute nicht mehr gut funktionieren, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Aber der Einzelne hat durchaus das Bedürfnis nach einem persönlichen Gespräch. Da kam ich auf die Idee, dass mich Menschen als Seelsorger oder sozusagen als Fachmann für Glaubens- und Sinnfragen auch individuell ansprechen beziehungsweise eben „mieten“ können – natürlich kostenlos.

Warum nennen Sie sich „Pastor“ und nicht Pfarrer?

Der Slogan ist bewusst in Englisch formuliert – „Pastor“ ist eben international verstehbar.

Richtet sich Ihr Angebot nur an Kirchenmitglieder?

Nein, es ist für alle offen, unabhängig von Ihrem Glauben. Diesen Sommer hatte ich im Rahmen des Projektes Kontakt mit Flüchtlingen aus der Türkei. Sie interessierten sich einfach für Kirche und Religion in Deutschland. Aber auch Menschen, die keiner Kirche angehören, suchen Kontakt zu mir.

Mit welchen Anliegen oder Bedürfnissen kommen Menschen auf Sie zu?

Sie kommen oft, um über persönliche Lebensfragen zu sprechen, häufig handelt es sich dabei um Beziehungsprobleme. Auch mit philosophisch-theologischen Fragen wenden sich Menschen an mich, zum Beispiel um über Auferstehung zu reden oder über die Evolutionstheorie. Mal ist es auch ein gemeinsamer Spaziergang im Park, ein Museumsbesuch, eine Einladung zum Essen bei jemand zu Hause oder eine Führung durch unsere Kirche. In diesem Jahr hatte ich im Juli 36 Gesprächskontakte und im August nochmal 10. Die meisten dieser Menschen kannte ich vorher nicht.

Welche Begegnung blieb Ihnen besonders im Gedächtnis?

Ich hatte ein sehr intensives Gespräch mit einer allein erziehenden Mutter bei einem Spaziergang durch die Aue, einem Park hier bei uns. Sie hat mir von den Herausforderungen in ihrem Leben erzählt. Und von dem, was sie so umtreibt und von ihren Schuldgefühlen und Überforderungen. Ich habe versucht, ihren Blick auf das zu lenken, was ihr gelingt und was sehr gut läuft. Und dass es genug ist, was man leistet, dass man so genügt, wie es ist. Es war für sie eine Befreiung und Entspannung, es so zu sehen. Für mich geht es darum, den Menschen einen echten Impuls zu geben, zu helfen, eine innere Blockade zu lösen, wenn ich kann.

Müssen Sie sich auch manchmal abgrenzen?

Das Ganze ist ja auf Kommunikation angelegt. Und mein Angebot beschränkt sich grundsätzlich auf eine Stunde. Ich schaue dabei nicht auf die Minute, doch es wichtig, einen verbindlichen und auch begrenzten Rahmen zu haben.

Und wie gehen Sie mit Ihrem Auftrag, Ihrer Zuständigkeit um?

Zuerst einmal bin ich der Meinung, dass wir zuallererst die Kirche Jesu Christi sind und die gehört allen. Darüber hinaus habe ich als Stadtkirchenpfarrer natürlich andere Möglichkeiten, auch über die Gemeindegrenze hinaus zu wirken. Und schließlich lege ich den Aktionszeitraum in den Juli, wo die Kolleginnen und Kollegen in Urlaub sind. Dann finden auch keine Sitzungen und keine Schule statt, so dass ich es zeitlich hinbekomme. Ich habe auch seit jeher im Sommer ein besonderes Angebot wie große Veranstaltungen zu bestimmten Themen organisiert und Menschen dazu eingeladen. „Rent a pastor“ kommt einfach dazu.

Was ist Ihre persönliche Motivation?

Für mich gilt immer, wenn was Gutes bei etwas rauskommen soll, dann muss man auch Energie reinstecken. Das tue ich. Und es ist für mich sehr beglückend, wenn ich den Menschen etwas geben kann. Eine andere Sicht der Dinge, ein offenes Ohr, eine gute Erfahrung. Ich tue es wirklich gern. Ich sehe darin die Kernaufgabe eines Pfarrers oder einer Pfarrerin. Und es ist für mich sehr erfüllend, endlich mal wieder da gelandet zu sein, warum ich persönlich Pfarrer geworden bin.

Sollten mehr Gemeinden so etwas anbieten?

Ich denke, nicht jeder kann oder sollte so etwas machen. Aber, ich glaube auch, wir wissen innerhalb der Kirche heute manchmal nicht mehr um die Kraft des einzelnen Gesprächs. Meines Erachtens müssen wir die Kurve wieder bekommen hin zur Seelsorge und Gottesdiensten. Wir tanzen auf so vielen Hochzeiten, für den einzelnen Menschen bleibt da oft zu wenig Zeit.


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Autorin

Sandra Hoffmann-Grötsch ist Journalistin in der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.

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