Phillips großer Tag
Jetzt müssen beide aufpassen. Phillip Jung und Thomas Sinning dürfen auf keinen Fall einen Schritt nach hinten machen – denn dann fallen sie ins Wasser. Hinter ihnen rauschen die Bäume der Maininsel leise im Wind, übertönt vom rhythmischen Eintauchen der acht Ruder eines Trainingsbootes. Über der Szenerie erhebt sich majestätisch die Frankfurter Skyline in den Sonntagmorgenhimmel. Lautlos gleitet ein junger Mann auf einem E-Scooter über den Uferweg. Der weltliche Alltag der Großstadt macht keine Pause, nur weil gerade ein neues Mitglied in die Sachsenhäuser Dreikönigsgemeinde aufgenommen wird.
Und irgendwie passt das. Mitten im Leben, was für einen besseren Ort könnte es für eine Taufe geben? Ruderer, Rollerfahrer und Spaziergängerinnen blicken erstaunt hinüber.
Phillip Jung, der Täufling in weißem Hemd und schwarzen Turnschuhen, und Thomas Sinning, der Pfarrer im schwarzen Talar, nehmen sie in diesem besonderen Moment auf dem Asphalt der kleinen Bootsanlegestelle allerdings nicht wahr. Thomas Sinning bückt sich und hält die Hand in das langsam fließende Wasser des Mains. Sein Talar bekommt ein paar Spritzer ab, aber das stört ihn nicht. „Phillip“, sagt der Pfarrer, „ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Er lässt das Wasser aus seiner Hand auf Phillips Kopf tropfen. Dann bekommt Phillip ein kleines Handtuch und trocknet sich Haare und Gesicht ab. Die Zeremonie dauert kaum ein paar Minuten. Zehn weitere Täuflinge warten, umringt von Eltern, Großeltern, Patinnen und Paten. Das reicht noch nicht an die 3000 frühen Christinnen und Christen heran, die der Bibel nach zusammen beim allerersten Pfingstfest getauft wurden, aber es werden mehr.
Taufen unter freiem Himmel liegen im Trend. Pfarrer Thomas Sinning und Pfarrerin Silke Alves-Christe teilen sich heute die schöne Aufgabe und taufen abwechselnd. Der Steg ist blitzblank, die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben ihn in den frühen Morgenstunden geschrubbt und vom Müll befreit. Zwei Stand-up-Paddler halten kurz inne und schauen.
„Die Taufe am Main ist auch als Schritt aus der Kirche heraus an die Öffentlichkeit gedacht“, sagt Thomas Sinning. In Frankfurt-Sachsenhausen käme einem an diesem Sonntag jedenfalls niemals das Wort Mitgliederschwund in den Sinn. Zum vierten Mal bereits lädt die Dreikönigsgemeinde zur Open-Air-Zeremonie, der immer ein Taufgottesdienst in der Kirche vorausgeht. Im Anschluss an den Schlusssegen überquert die Gemeinde dann mit Polizeischutz die dicht befahrene Straße am Deutschherrenufer.
Das Angebot kommt gut an. „Ich finde den Gedanken schön, mit fließendem Wasser getauft zu werden“, sagt Phillip. „Außerdem ist es angenehmer, als vorne am Altar vor der Gemeinde zu stehen.“ Den Taufspruch hat er selbst gewählt, den Psalm 118,6: „Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun?” Es gab eine Zeit, da fühlte sich Phillip mit seinen Mitschülern nicht wohl, die Idee eines Gottes, der Schutz gibt, ist ihm wichtig. Auch für die Eltern Tine Beck und Hubertus Jung ist es ein besonderer Tag.
Die Grafik-Designerin und der Airline-Manager aus Offenbach haben sich die Dreikönigskirche bewusst als geistliche Heimat gewählt: „Wir waren auf der Suche nach einer Gemeinde, die nicht zu altbacken und nicht zu modern ist. Hier passt es.“
Tine Beck ist in Sachen Kirche eine Rückkehrerin. Sie trat vor einigen Jahren aus, jetzt ist sie wieder Mitglied. „Ich hatte eine Phase, in der ich viel mit Dingen wie Yoga, Reiki, New Age und allerlei sonstigem Trallala zugange war“, erzählt sie. „Heute merke ich, dass ich mich damit weit vom Christentum entfernt hatte. Die Bibel gibt mir so viel mehr. Ich habe sie wirklich von A bis Z durchgelesen, das ist mir wichtig.“
Jetzt geht das Paar sonntags in den Gottesdienst und engagiert sich auch darüber hinaus in der Gemeinde. Phillip ist etwa einmal im Monat mit in der Kirche dabei. „Ich wünsche mir, dass er durch die Taufe ein Glaubensfundament bekommt, auf das er auch später zurückgreifen kann, wenn er eine Krise im Leben hat – und die bekommt ja ab und zu jeder von uns.“ Als Taufgeschenk durfte er sich beim Juwelier ein besonders schönes Kreuz aussuchen. Phillip wirkt froh und ein bisschen erschöpft, als er nach einer ausgiebigen Fotosession vor der Skyline mit Eltern, Patentante, Großmüttern, Schwestern und Cousin zu einem Spaziergang am Main aufbricht, dessen Wasser ihn noch näher mit Gott verbunden hat.
0 Kommentare
Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.