„Wir definieren uns nicht über unseren Aktivismus“, sagt der neue Propst Oliver Albrecht
Herr Albrecht, was bedeutet das Propstamt für Sie?
In der evangelischen Kirche ist Leitung Dienst. Es geht also nicht darum, zu herrschen, sondern darum, zu dienen. In erster Linie ist ein Propst nach meiner Auffassung dafür zuständig, dass es den Pfarrern und Pfarrerinnen gut geht, und dass es in den Gemeinden läuft. Dabei soll er helfen und Orientierung geben.
Ist das vergleichbar mit einem Bischof, einer Bischöfin?
Im Prinzip ja. Allerdings werden Beschlüsse und Entscheidungen in unserer evangelischen Kirche ja von Synoden, von Parlamenten, von gewählten Vertretern und Vertreterinnen getroffen. Der Propst hat eher die Aufgabe, sie durch geistliche Orientierung dabei zu ermutigen, gute Beschlüsse zu treffen. Wenn etwa bei einer Dekanatssynode ein kontroverser Punkt auf der Tagesordnung steht, versucht der Propst, aus theologischen Aspekten orientiert eine Richtung zu geben, in die man sich entscheiden könnte. Wie dann letztlich aber entschieden wird, das ist ein demokratischer Prozess.
Welche geistlichen Bedürfnisse sehen Sie heute in einer Großstadt wie Frankfurt? Was kann die Kirche anbieten an Themen, Positionen, Orientierungen?
Frankfurt ist eine aufregende Stadt ist mit ganz unterschiedlichen Stadtteilen. Deshalb kann man das nicht pauschal beantworten. Es ist sicher in Berkersheim anders als in Sachsenhausen. Generell glaube ich, dass die Kirchengemeinden vor Ort eine gute Antwort geben können auf die Frage: Wo gehöre ich eigentlich hin? Wo bin ich zu Hause? In den Gemeinden kann man spüren, dass man gebraucht wird, und gleichzeitig darf man einfach da sein, so wie man ist. Die Kirche ist ja eine der wenigen Organisationen, die noch in der Fläche präsent sind. Das ist ein großes Plus.
Sie haben auch einen persönlichen Bezug zu Frankfurt…
Ja, das sage ich mit einem Schmunzeln, ich schaue nämlich als Offenbacher auf Frankfurt. Ich komme aus Offenbach, war da in der Schule und im Sportverein. Ich habe aber später auch für einen Frankfurter Verein gespielt, Wasserball beim EFSC, und immer noch viele Freunde dort. Deshalb freue ich mich auf die neue Aufgabe, bei der ich ja sowohl für Frankfurt als auch für Offenbach zuständig bin.
Sie haben gesagt, Sie fühlen sich vor allen Dingen dafür zuständig, dass es den Pfarrerinnen und Pfarrern gut geht. Was haben diese denn heute für Sorgen? Welche Probleme können im Pfarramt auftreten?
Heutzutage müssen die Pfarrerin oder der Pfarrer in ihrem Beruf selbst definieren, wie sie ihn ausüben. Früher hieß es, das Amt, das Pfarramt, trägt die Person. Als Pfarrer war man schon qua Amt eine Respektsperson und angesehen, ähnlich wie der Lehrer oder der Apotheker oder der Bürgermeister. Heute ist das nicht mehr so. Wenn ich morgens vor dem Kleiderschrank stehe, muss ich mich immer wieder neu entscheiden, wie ich heute den Pfarrer „mache“. Ich muss mich als Pfarrer selbst definieren, das nimmt mir keiner mehr ab. Das ist natürlich für viele schön, weil es eine große Freiheit bedeutet, aber es ist manchmal auch anstrengend. Oft muss man sich seine Position erst einmal erkämpfen. Deshalb ist es wichtig, dass man jemanden hat wie den Propst, der stärkt, der ermutigt, der auch mal ein kritisches, fürsorglich-kritisches Wort sagt.
In Frankfurt stellen die Evangelischen nur noch ein Viertel der Bevölkerung. Was kann man aus so einer Minderheitenposition heraus machen?
Man muss vor allem davon wegkommen zu denken, man ist dafür verantwortlich, den lieben Gott in Frankfurt zu retten. Der liebe Gott ist da, den müssen wir nicht retten, höchstens vielleicht manchmal wiederentdecken. Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch Gemeinden können sich auf das konzentrieren, was sie gut können, und für andere Bereiche gibt es andere Kolleginnen und Kollegen. Ich plädiere hier für Vernetzung, Entlastung, Teamarbeit. Wir definieren uns nicht über unseren Aktivismus, darüber, was wir alles machen und tun, sondern wir leben daraus, dass wir das Evangelium haben, das uns selber berührt und befreit und das wir weitergeben. Wir brauchen keine Leute, die uns bewundern, sondern solche, die bei uns Gott und den Glauben entdecken. Speziell in Frankfurt liegt die schöne Herausforderung darin, das gemeinsam mit anderen Konfessionen und Religionen zu tun. Wir Evangelischen haben ja kein Copyright auf den lieben Gott, sondern wir stehen in einem Dialog, zunächst einmal mit den anderen christlichen Konfessionen, aber dann auch mit anderen Religionen.
Was wären denn ethische und politische Themen, bei denen sich die Kirche heute in Frankfurt äußern sollte?
Solche Themen müssen wir mit den Menschen vor Ort zusammen entwickeln. Es ist nicht so, dass die evangelische Kirche in Gremien und sozusagen hinter verschlossenen Türen die richtige christliche Meinung aushandelt und sie dann dem Volk präsentiert. Sondern wir bieten Foren an, wo diese Diskussionen geführt werden. Dabei haben wir unsere Positionen und die benennen wir auch klar, aber wir prüfen sie im Dialog. Momentan ist nach wie vor das Thema der Integration der zu uns geflüchteten Menschen aktuell. Andere wichtige Themen sind der Flughafen, der Verkehrsinfarkt, die Wohnsituation.
Diese Orientierung auf den offenen Diskurs kritisieren viele und sagen, die Kirche laufe dem Zeitgeist hinterher. Was erwidern Sie?
Ich nehme solche Kritik ernst, weil sie ja auch gut gemeint ist. Die Menschen, die uns das vorwerfen – und dabei denke ich vor allem an die große Frankfurter Zeitung, die uns immer wieder liebevoll-kritisch auf unserem Weg begleitet – tun das ja nicht aus Desinteresse, sondern weil sie eine Liebe zur evangelischen Kirche haben. Deshalb sage ich erstmal Danke für diese Kritik, denn da ist auch manchmal was dran. Es muss uns wohl noch besser gelingen, zu vermitteln, dass unser ethisches Handeln aus einem ganz tiefen Glauben, aus einer ernsten Frömmigkeit kommt. Wenn wir uns für Geflüchtete einsetzen, dann nicht wegen des Zeitgeistes, sondern weil uns der Glaube, die Menschen und Gott wichtig sind. Das haben wir anscheinend nicht deutlich genug gemacht.