Navid Kermani erklärt seiner Tochter den Islam. Und Gott.
Der Buchtitel ist einer alten persischen Geschichte entlehnt: „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näherkommen.“ Kermani erzählt seiner 12-jährigen Tochter vom Islam, aber längst nicht nur von ihm. Wohlgemerkt dem Islam seiner Eltern und Vorfahren, der keineswegs „gewalttätig und engstirnig“ war, wie er jetzt in vielen Ländern ausgelegt werde, wie der Publizist schreibt. In jedem Kapitel Fragen seiner Tochter aufgreifend, erklärt Kermani, warum er Muslim ist, auf welche islamischen Gelehrten er sich bezieht, was die Mystiker des Islam, die Sufis, denken und zitiert viele Suren.
Darüber hinaus versucht er aber auch, seiner Tochter nahezubringen, was allen monotheistischen Religionen gemeinsam ist, und geht vor allem auf die Frage nach Gott ein. Gott, schreibt Kermani, ist sowohl als auch. Die Unendlichkeit, die Vielfalt, aber auch konkret im Atem jedes Lebewesens. Gott ist der Urgrund allen Seins, das Lebensprinzip schlechthin.
Gott kann man nicht fassen. Aber man darf sich Gott doch vorstellen, wenn man sich dabei klar macht, dass Gott auch das Gegenteil sein kann. „Kein Einzelner hat Gott als Ganzes“, sagt der islamische Gelehrte Ibn Arabi. Auch die dunkle Seite Gottes lässt Kermani nicht aus, versucht dabei aber, seine junge Adressatin nicht zu überfordern.
Deutlich macht er dagegen, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das zwischen Gut und Böse unterscheiden kann, und welche Verantwortung damit verbunden ist. Hass, ist Kermani überzeugt, hat nichts Schöpferisches. Aber Gott, als Urgrund allen Seins, ist schöpferisch.
Kermani hat sich nicht nur mit dem Islam sondern auch mit dem Christentum intensiv auseinandergesetzt. Sein Buch ist höchst kenntnisreich, klug und leidenschaftlich, man merkt ihm das gleiche Staunen an wie den Quantenphysikern, von denen er seiner Tochter ebenfalls erzählt: Wie und warum Quarks, die allerkleinsten bisher bekannten Teilchen, funktionieren, können Wissenschaftler nicht erklären. Ein Gottesbeweis ist das dennoch nicht. Denn, schreibt Kermani, den könne es nicht geben.
Aber auch ohne Beweis kann man sich Gott nähern. Wenn einer das überhaupt beschreiben kann, dann Kermani. Sein Buch ist, ich kann es nicht anders sagen, wunderschön.
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