Meditatives im Kirchenleben stärken will Pfarrerin Claudia Vetter-Jung
Alle zehn Jahre können Pfarrer:innen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eine Studienzeit nehmen. Claudia Vetter-Jung, Pfarrerin der Evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde in Frankfurt-Niederrad, hatte unlängst solch eine Auszeit. „Meine Frage war: Warum erfüllen die Menschen sich das Bedürfnis nach Spiritualität, obwohl das Interesse daran zunimmt, nicht in der Kirche, sondern woanders?“.
Eine Umfrage unter Kolleg:innen im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach hat sie gestartet, sich mit dem Referenten für Geistliches Leben des Zentrums Verkündigung der EKHN, Pfarrer Thomas C. Müller, ausgetauscht, selber Zen-Meditation im Lassalle Haus in der Schweiz, einer jesuitischen Gründung, praktiziert, und elf Tage lang in einem buddhistischen Zentrum von morgens 4.30 Uhr bis 21.30 Uhr am Abend, von kurzen Pausen abgesehen, „gesessen“.
Eine eingängige Quintessenz kann Vetter-Jung aus den drei Monaten nicht ziehen. Klar ist ihr nur, sie will weitermachen, mit wöchentlichen spirituellen Angeboten und mit ganzen Tagen spirituellen Charakters, am 30. März von 10 bis 16 Uhr bietet sie wieder einen an. Wer möchte, kann auch nur den halben Tag dabei sein. Die Teilnehmer:innen erwarten angeleitete Übungen zur Körper- oder Naturwahrnehmung, und Sitzen in der Stille. Um 12.30 Uhr gibt es ein einfaches Mittagessen.
Taizé-Gottesdienste, die spirituell geprägt sind, feiern einige Gemeinden. In der Gethsemanekirche im Frankfurter Nordend begrüßt Stefan Schuster von September bis März regelmäßig inmitten der Woche zu spirituellen Auszeiten mit Klangschale und Ruhemomenten. Magdalena Lucas, ehemals evangelische Gemeindepädagogin für Erwachsenenbildung und Seniorenarbeit im Frankfurter Westen, bietet Meditatives und Körperübungen nach Via Cordis an. Meditative Spaziergänge, bewusste Ruhezeiten in Gotteshäusern – offeriert wird in den evangelischen Gemeinden und Einrichtungen in Frankfurt und Offenbach Weiteres, und doch könnte das Profil der evangelischen Kirche in dieser Hinsicht, nach Ansicht der 61-Jährigen, noch deutlicher werden.
Leider nähmen sich die Pfarrerinnen und Pfarrern oft selbst zu wenig Zeit für Spirituelles. Der „Alltagsbetrieb“ zwischen Kindergarten, Seniorenprogramm, Kasualien, Gottesdiensten, Personalia im Haupt- und Ehrenamt und individueller Seelsorge lasse kaum Raum dafür. Zugleich bedauert sie, dass manche Leute den Draht zu Kirchlichem gänzlich verloren haben und gar nicht mehr erfahren, was es dann doch an Angeboten für ihre spirituellen Sehnsüchte gibt.
Vetter-Jung sagt über sich, „ich kann viel reden und gut schweigen“. Mit 16 reiste sie nach Taizé in Burgund, Freunde hätten gelacht, ausgerechnet sie, die Quirlige, suche die Ruhe dieser Communauté,– ja, für Vetter-Jung, verheiratet mit einem Theologen, war die Stille, das Meditative immer wichtiger Teil ihres Selbstverständnisses als Pfarrerin.
Vor zehn Jahren, zu der Zeit war sie noch Altenheimseelsorgerin in Wiesbaden, nahm Vetter-Jung auch eine Studienzeit, damals wählte sie den Schwerpunkt Spiritualität und Demenz. Kurz danach, von 2015 bis 2020, absolvierte sie eine Ausbildung zur Meditationsbegleiterin bei Via Cordis, einer Vereinigung, die sich dem „Herzensgebet“ verschrieben hat. Das bedeutete zweimal im Jahr zehn Tage im Schweigen. In ihrer jüngsten Studienzeit recherchierte Vetter-Jung verschiedene Weiterbildungsangebote. Vieles hat sie nicht überzeugt: „In fünf Tagen zur christlichen Meditationsbegleiterin“ - ihrer Ansicht nach kann das nicht fundiert sein.
Christliche Elemente sind Claudia Vetter-Jung wichtig bei ihrem Angebot „Spirituelle Köperarbeit und Meditation“. Mit einem Auszug aus Psalm 1 „Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, / der seine Frucht bringt zu seiner Zeitl“ hebt ein Mittwochmorgen an. Farbig gestaltete Kerzen stehen in der Kreismitte. So lange die Temperaturen noch kühl sind, kommt die Runde im Gruppenraum des Pfarrhauses zusammen, vier Frauen sind es dieses Mal. Atemübungen, bewusste Wahrnehmung im Stehen, im Sitzen, prägen das Geschehen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, „ich habe noch nie erlebt, dass niemand kommt“.