Gott & Glauben

Buddhismus: „Meditation heißt nicht, sich keine Sorgen machen“

In einer Interviewreihe stellt „Evangelisches Frankfurt“ die Mitglieder des Frankfurter Rates der Religionen vor. Dagobert Ossa ist einer der buddhistischen Vertreter.

Dagobert Ossa. Foto: Ilona Surrey
Dagobert Ossa. Foto: Ilona Surrey

In welcher Funktion vertreten Sie den Buddhismus im Rat?

Ich gehöre zur Pagode Phat Huê – das heißt „Buddhas Weisheit“ – in Fechenheim, in der Hanauer Landstraße, und bin dort Assistent des Abtes. Er hat mich beauftragt, im Rat der Religionen mitzuarbeiten. Ich vertrete auch das Tibetisch Buddhistische Zentrum Sakya Kalden Ling in Griesheim.

Wer gehört zu Ihrer Pagode?

Die Gemeinde betreut die etwa 7.000 Vietnamesen im Rhein-Main-Gebiet. Die meisten kamen in den 1980er Jahren als Boatpeople mit der Cap Anamur nach Deutschland. Jetzt geht es darum, dass sie hier heimisch werden, aber ihre Wurzeln nicht verlieren. Das ist ein Spagat. Die Älteren möchten gerne ihre Traditionen weitergeben, aber die jungen Menschen gehen hier zur Schule und werden westlich erzogen. Hier müssen wir versuchen, in den Familien die Kommunikation aufrecht zu erhalten zwischen alter Tradition und westlicher Welt.

Wie viele Buddhisten leben denn insgesamt im Rhein-Main Gebiet?

Da gibt es keine offiziellen Zahlen. Die Vietnamesen sind schon die größte Zahl. Es gibt noch kleinere buddhistische Gemeinden, die meistens von Geschäftsleuten gegründet wurden, Japanern, Koreanern, Thailändern und anderen. Die Zahlen kann man schlecht schätzen, aber so viele sind es nicht.

Wie sind Sie persönlich in diese Gemeinde gekommen?

Ich habe den Ehrwürdigen Abt Thich Thien Son, der auch Zenmeister ist, 2002 kennengelernt. Ich interessiere mich allgemein für Buddhismus. Ich bin aber auch Protestant, ich bin Mitglied in der Kirche. Buddha hat gesagt: Prüfe alles, was ich sage, wie Gold, ob es echt ist. Wir haben im Buddhismus keine Dogmen. Da die Menschen so verschieden sind und so viele unterschiedliche Hintergründe haben, müssen alle ihre eigenen Erfahrungen machen. Und es gibt eben viele Wege, nicht?

Was hat Sie gerade an dieser Pagode fasziniert?

Ich bin selbst Flüchtling, ich bin im Januar 1941 in Ostpreußen geboren und habe auch die Flucht 1945 mitgemacht. Ich weiß also, was Leid heißt. Und ich wollte dann auch dieser Gemeinde helfen. Was mich anzieht, ist aber vor allem die Offenheit des Abtes, der hier einen Buddhismus auch für die Westler prägt.

Wie muss man sich das religiöse Leben vorstellen?

Die Pagode ist auch ein Kloster. Dort leben etwa zwanzig Mönche und Nonnen, wenn man die Novizen mitzählt. Die Zusammensetzung ist international, Deutsche, Vietnamesen, Amerikaner, Franzosen, Italiener und andere. Um fünf Uhr ertönt die große Glocke in der Buddha-Halle. Es wird aufgestanden, dann kommen die Mönche und Nonnen zur Morgenmeditation. Manchmal kommen auch Laien hinzu, die an einem Seminar teilnehmen. Um sieben Uhr geht man zurück auf sein Zimmer, um acht Uhr ist Frühstück. Um neun ist normalerweise eine Besprechung, bei der die Arbeiten verteilt werden, und dann geht ab zehn Uhr jeder seiner Arbeit nach. Abends gibt es Seminare, verschiedene Kurse wie Tai Chi, oder Qi Gong oder Meditation. Und so um 23 Uhr geht dann das Licht aus.

Sie wohnen aber nicht hier?

Nein, ich komme dann vorbei, wenn ich gebraucht werde, oder wenn Feste und Zeremonien veranstaltet werden. Wir haben drei große Feste im Jahr: das Neujahrsfest, das sich nach dem Mondkalender richtet, das Vesakfest, Buddhas Geburtstag, im Mai oder Juni, und das Ulambana-Fest, der vietnamesische Muttertag. Zu diesen Festen kommen die Leute sogar von weiter her, von Stuttgart, Karlsruhe oder Hamburg. Vor einigen Jahren hat der Abt außerdem die Genehmigung bekommen, dass wir Buddhas Geburtstag mit über dreißig buddhistischen Gruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet im Ostpark feiern dürfen. Da gibt es Vorträge, Kung Fu, Tai Chi, Bogenschießen, und die Bevölkerung kann zuschauen oder sich beteiligen. In diesem Jahr ist das am Samstag, 26. Juni, ab 11 Uhr.

Gibt es hier in der Pagode auch wöchentliche Treffen?

Ja, wir haben laufend Meditationsabende und Vorträge. Sonntags sind den ganzen Tag über Zeremonien für die Erwachsenen, und die Kinder können spielen. Im großen Buddha-Raum sitzen normalerweise vom Eingang aus gesehen links die Frauen und rechts die Männer, es kann aber auch durcheinander gehen. Vorne im Altarraum sitzen die Mönche, ganz vorne der Abt und die hohen Mönche, dahinter die Nonnen und Novizen. Bei den Zeremonien werden Ritualinstrumente, wie Holzfisch und Trommeln, Klangschalen und Gesangbücher benutzt.

Wann wurde diese Pagode gegründet?

2004. Sie ist wie ein Verein organisiert und als Deutsch-Vietnamesische Buddhistische Gemeinde e.V. eingeschrieben.

Gibt es Festangestellte? Ist zum Beispiel der Abt hauptamtlich?

Ein buddhistischer Abt hat ja kein Geld. Er lebt hier, er hat sein Zimmer. Die meisten Arbeiten wie Kochen und Putzen sind ehrenamtlich, es gibt aber einige Festangestellte. Hier ist auch eine Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin untergebracht, das ist auch ein Einkommen für die ganze Pagode. Unser Bestreben ist, dass man das mit der Schulmedizin verknüpft, dass man das nicht als Gegensätze ansieht, sondern als Ergänzung und Bereicherung. Wir haben hier auch Kurse über gesunde Ernährung und Kochseminare.

Was glauben Sie, ist der Grund, warum sich so viele Menschen im Westen für den Buddhismus interessieren?

Es gibt viele Probleme, augenblicklich sind das vor allem Probleme der Angst, den Partner oder die Arbeit zu verlieren. Es gibt in den Firmen Mobbing, Depressionen sind sehr verbreitet. Ich bin der Meinung, die Religionen müss­ten da aktiver werden, allgemein. Ich möchte ein Beispiel geben: Wenn wir zu Mittag essen, dann beten wir. Das ist in der westlichen Welt abhanden gekommen. Wir bedanken uns, dass wir zu essen haben, wir essen die ersten zehn Minuten im Schweigen. Alles bewusst zu tun, das kann der Buddhismus dem Westler geben. Das Sich-Besinnen.

Meditieren Sie denn auch selber täglich?

Ja, natürlich. Ich meditiere immer morgens, gleich nach dem Aufstehen eine halbe Stunde. So habe ich keine Ausrede, dass ich es vergesse. Viele Leute missverstehen die Rolle, die die Meditation im Buddhismus spielt. Meditation besteht nicht darin, sich keine Sorgen mehr zu machen und vor der Wirklichkeit zu fliehen. Es ist eine Methode, mit der Sie Ihre Gedanken, Empfindungen, Gefühle, Verhaltensmuster und Einstellungen besser kennen lernen können. Unabhängig von der Religion kann jeder meditieren. Es würde auch schon helfen, sich nur zehn Minuten zu sammeln, um den Tag gut anzugehen.


Schlagwörter

Autorin

Antje Schrupp 240 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social