Gott & Glauben

"Theologie nimmt die Suche nach Sinn ernst"

Was hat Theologie zu aktuellen Themen wie Künstliche Intelligenz, Genderfragen oder Krieg zu sagen? Fragen an den neuen Studienleiter der Evangelischen Akademie Frankfurt, Helge Bezold, der Brücken schlagen will zwischen Theologie und Gegenwart.

Seit Oktober ist Helge Bezold (36) theologischer Studienleiter im Team der Evangelischen Akademie Frankfurt.
Seit Oktober ist Helge Bezold (36) theologischer Studienleiter im Team der Evangelischen Akademie Frankfurt.

Herr Bezold, Sie wollen als neuer theologischer Studienleiter an der Evangelischen Akademie Frankfurt Brücken zwischen theologischer Wissenschaft und Gegenwartsthemen wie KI und Genderfragen schlagen, war in der Pressemeldung zu Ihrem Amtsantritt zu lesen. Was hat denn Theologie zu KI, also „Künstlicher Intelligenz“, zu sagen?

KI ist ein zutiefst theologisches Thema, weil man scheinbar mit einem Gegenüber kommuniziert, das endlos Texte und Bilder kreieren und Antworten geben kann, und das in Frage stellt, was der Mensch an sich ist, zum Beispiel fehlerhaft und endlich. Das Prinzip „Gott als Gegenüber“ hat viele Gemeinsamkeiten mit einem digitalen Gegenüber. Man redet mit einem Sprachmodell, das immer Zeit hat, das einen vermeintlich besser kennt, als man sich selbst.  

Sie vergleichen KI mit Gott?

Ja, aus phänomenologischer Sicht, also was die unmittelbare Wahrnehmung betrifft, schon. Der Kontaktpunkt ist ähnlich, ob man mit Gott redet oder mit ChatGPT. Aber das eine ist etwas Transzendentes, den Menschen Verborgenes, das andere ein menschengemachtes Produkt. Während KI immer auf alles eine Antwort hat, erleben Menschen oft die Sprachlosigkeit Gottes. Es gibt also zumindest Berührungspunkte, über die man reden muss.

Und was ist der Unterschied zwischen künstlicher Intelligenz und Gott?

Künstliche Intelligenz ist nur scheinbar allwissend. Sie ist ein Produkt von uns Menschen, das immer erreichbar ist, unsere Wünsche erfüllt und somit „funktioniert“. Gott, so wie ihn die abrahamitischen Religionen verstehen, „funktioniert“ nicht. Ihn muss man suchen, er ist nur in Annäherung, in Bruchstücken erfahrbar. Der christliche Glaube lebt von der Unverfügbarkeit, also von der Hoffnung auf die Liebe Gottes, auf Erlösung, auf ewige Geborgenheit. Insofern bietet das Nachdenken über KI wichtige Impulse für unsere heutige Theologie.

Und was sagt die wissenschaftliche Theologie zu Genderfragen? 

Menschen sind in allen ihren Geschlechtern Geschöpfe Gottes, und die protestantische Theologie stellt in Frage, dass es einen Gott gibt, der die Menschen nur männlich und nur weiblich geschaffen hat. Deshalb ist sie ein wichtiges Korrektiv zu rein binären Geschlechterkonstruktionen. Auch wenn die Bibel das in einem vormodernen Weltverständnis bisweilen anders ausdrückt. 

Es stehen auch Sätze in der Bibel wie „Die Frau schweige in der Gemeinde“. Wie kann man damit umgehen?

Ich habe die vergangenen Jahre an der Universität als Bibelwissenschaftler gearbeitet. Und eine wichtige Aufgabe für einen aufgeklärten, verantwortungsvollen Umgang mit der Bibel ist, dass man sich manchmal auch gegen das stellen muss, was da steht. Die Frage ist, ob wir Gottes- und Menschenbilder mit Einzelversen begründen oder mit dem großen Ganzen. Der von Ihnen zitierte Satz geht heute gar nicht mehr. Wir müssen die Bibel aus den Zusammenhängen heraus verstehen, in denen sie entstanden ist, und manches auch kritisch sehen. Wenn wir an einen Gott glauben, der jeden Menschen zu Freiheit berufen hat, dann kann man daraus nur folgern, dass Frauen genauso in der Gemeinde reden sollen, wie alle anderen.  

Sie sind promovierter Alttestamentler und haben sich intensiv mit Bibeltexten beschäftigt, in denen Gewalt eine Rolle spielt. Welche Erkenntnis haben Sie daraus gewonnen?

Grundsätzlich spielt für mich eine große Rolle, dass die Bibel aus der Sicht der Besiegten, der Ohnmächtigen, der Underdogs geschrieben ist, nicht aus Sicht der Siegermächte. Das ist ein heilsames Korrektiv für uns heute. Unterdrückte, Verfolgte und Bedrohte brauchen andere Gottesbilder als nur den „lieben Gott“. Die Bibel erkennt an, dass wahre Gerechtigkeit nur von Gott hergestellt werden kann. Das Buch Jeremia zum Beispiel ist eine literarische Reaktion auf den Angriff der Babylonier auf Jerusalem und Juda. Tausende Menschen wurden im Krieg getötet oder deportiert. Dass in so einem Text neben Klagen über das Leid auch Rachevorstellungen enthalten sind, ist verständlich. Das ist eine Perspektive, die man schnell vergisst, wenn man in Wohlstand und Frieden lebt. Auch viele Menschen heute verbinden Gott mit der Hoffnung auf wirkliche Sicherheit, auf Gerechtigkeit und auf eines Tages eintretenden Frieden. 

Und wohin mit den Rachewünschen?

Rache ist vor allem eine göttliche Angelegenheit. Viele Texte, auch im Neuen Testament, verarbeiten historische Gewalterfahrungen und Ohnmacht. Sie hoffen, dass Gott die Täter zur Rechenschaft zieht. Menschliche Rache und niedere Gewaltformen werden mehrheitlich verurteilt. Auch das geflügelte Wort „Auge um Auge“ ist der Versuch, einen angemessenen, eventuell sogar finanziellen Ausgleich zwischen Opfer und Täter herzustellen, es ist kein Aufruf zur Rache. Im Kontext gelesen und angemessen interpretiert, sehe ich ein großes Potential in biblischen Texten für die Arbeit an einer friedvolleren Welt.

Was ist der Mehrwert einer theologischen Herangehensweise im Gegensatz zu einer philosophischen, soziologischen oder naturwissenschaftlichen?

Für mich besteht der Mehrwert darin, dass Theologie diese Blickwinkel zusammenführt. Theologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, nur mit der Besonderheit, dass sie den Menschen in all seiner Gebrochenheit, seiner Erlösungsbedürftigkeit und seinem Suchen nach Sinn ernst nimmt. Und ernst nimmt, dass der Glauben an etwas, das größer ist als das, was wir sehen und begreifen, für viele Menschen dazugehört. Diese Art von Tiefe hat nur die Theologie.


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Autorin

Stephanie von Selchow ist Redakteurin des EFO-Magazins.

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